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Tuesday, June 9, 2015

Vorwort - Eine Botanische-Zoologische Rundreise auf der Iberischen Halbinsel.

Eine Botanische-Zoologische Rundreise auf der Iberischen Halbinsel.
Auf der Suche nach der Verlorenen Zeit


Madeleine[1][2]
Viele Jahre lang hatte von Combray außer dem, was der Schauplatz und das Drama meines Zubettgehens war, nichts mehr für mich existiert, als meine Mutter an einem Wintertag, an dem ich durchfroren nach Hause kam, mir vorschlug, ich solle entgegen meiner Gewohnheit eine Tasse Tee zu mir nehmen. Ich lehnte erst ab, besann mich aber, ich weiß nicht warum, eines anderen. Sie ließ daraufhin eines jener dicklichen, ovalen Sandtörtchen holen, die man 'Petites Madeleines' nennt und die aussehen, als habe man als Form dafür die gefächerte Schale einer Jakobs-Muschel benutzt. Gleich darauf führte ich, ohne mir etwas dabei zu denken, doch bedrückt über den trüben Tag und die Aussicht auf ein trauriges Morgen, einen Löffel Tee mit einem aufgeweichten kleinen Stück Madeleine darin an die Lippen. In der Sekunde nun, da dieser mit den Gebäckkrümeln gemischte Schluck Tee meinen Gaumen berührte, zuckte ich zusammen und war wie gebannt durch etwas Ungewöhnliches, das sich in mir vollzog. Ein unerhörtes Glücksgefühl, das ganz für sich allein bestand und dessen Grund mir unbekannt blieb, hatte mich durchströmt. Es hatte mir mit einem Schlag, die die Liebe, die Wechselfälle des Lebens gleichgültig werden lassen, seine Katastrophen ungefährlich, seine Kürze imaginär, und es erfüllte mich mit einer köstlichen Essenz; oder vielmehr: diese Essenz war nicht in mir, ich war sie selbst. Ich hatte aufgehört, mich mittelmäßig, zufallsbedingt, sterblich zu fühlen. Woher strömte diese mächtige Freude mir zu? Wo konnte ich sie fassen? Ich trinke einen zweiten Schluck und finde nichts anderes darin als im ersten, dann einen dritten, der mir etwas weniger davon schenkt als der vorige. Ich muß aufhören, denn die geheime Kraft des Trankes scheint nachzulassen. Es ist ganz offenbar, daß die Wahrheit, die ich suche, nicht in ihm ist, sondern in mir. [...] Ich stelle die Tasse ab und micht meinem Geist zu. Er muß die Wahrheit finden. Doch wie? Eine schwere Ungewißheit tritt ein, so oft der Geist sich von sich selbst überfordert fühlt, wenn er, der Forscher, zugleich das dunkle Land ist, das er erforschen muß und wo sein ganzes Gepäck ihm nichts nützt. Erforschen? Nicht nur das: Erschaffen. Er steht vor einem Etwas, das noch nicht ist, das nur er wirklich werden lassen und dann in sein eigenes Licht rücken kann. [...]
Sicherlich muß das, was auf dem Grund meines Ich in Bewegung geraten ist, das Bild, die visuelle Erinnerung sein, die zu diesem Geschmack gehört und die nun versucht, mit jenem bis zu mir zu gelangen. Doch sie müht sich in zu großer Ferne und nur allzu schwach erkennbar ab; kaum nehme ich einen gestaltlosen Lichtschein wahr, in dem sich der ungreifbare Wirbel der Farben vermischt und verliert; ich kann aber die Form nicht unterscheiden, nicht von ihr als dem einzig möglichen Dolmetscher erbitten, daß sie mir die Aussage ihres Begleiters, ihren unzertrennlichen Gefährten, des Geschmacks übersetzt, sie nicht fragen, um welche Begebenheit, um welche Epoche der Vergangenheit es sich handelt. [...]
Und mit einem Mal war die Erinnerung da. Der Geschmack war der jenes kleinen Stücks einer Madeleine, das mir am Sonntagmorgen in Combray (weil ich an diesem Tag vor dem Hochamt nicht aus dem Hause ging), sobald ich ihr in ihrem Zimmer guten Morgen sagte, meine Tante Léonie anbot, nachdem sie es in ihren schwarzen oder Lindenblütentee getaucht hatte.


Vorwort



Vor einigen Jahren, genauer im Jahr 2008, hatte ich damit begonnen, im Rahmen von Blogbeiträgen die Pflanzenwelt des Cabo do Mondego und der Serra da Boa Viagem im Nordwesten der Iberischen Halbinsel zu fotografieren. Die Serra da Boa Viagem liegt in Mittelportugal, nördlich der Stadt Figueira da Foz und der Mündung des Mondego-Flusses. Sie grenzt mit dem Cabo Mondego, ihrem westlichen Promotorium, an den Atlantischen Ozean an. Obwohl vom Atlantik mit seinen feuchten, ziemlich kühlen Westwinden stark geprägt, ist die Vegetation in der Serra da Boa Viagem und am Cabo Mondego dennoch weitgehend eine mediterrane. Atlantische Einflüsse sind vor allem in der Dünenvegetation mit ihren vereinzelten iberischen Endemismen, z.B. der Weissen Krähenbeere (Corema album), gut erkennbar. Die Dünen von Mira, Gândara, Gafanhas und Quiaios, die sich nördlich an die Serra da Boa Viagem anschliessen,  sind heute ein wertvolles, naturgeschütztes Waldgebiet. Sie wurden unter Salazar und dem damaligen “Estado Novo” zu Beginn des 20. Jahrhunderts bewaldet.

Ich machte zu dieser Zeit regelmässig Wanderungen in diesen Gebieten, die durch ihre Vielfalt an sehr unterschiedlichen Biotopen und Kleinlebensräumen eine grosse biologische Vielfalt bzw. Biodiversität besitzen. Folgende Biotope finden sich auf kleinstem Raum mosaikartig zusammengefügt: das noch mediterran geprägte Mondego-Estuar, das  jurassischen Kalkgebirge der Serra da Boa Viagem mit seinen vorgelagerten Riffen im Atlantik, die gut erhaltenen Dünen und wertvollen Dünenseen sowie ein kilometerlanger, unberührter Sandstrand.

Schon bald nach Beginn mit den Pflanzenaufnahmen am Cabo Mondego hatte ich Gelegenheit, eine weitere Pflanzenerhebung für einen kleinen privaten Naturpark, die Faia Brava[3][4], am Rio Côa (einem linken Seitenarm des Rio Douro) im Nordosten Portugals zu machen. Da die Pflanzenwelt am Rio Côa für mich noch ziemlich neu und unbekannt war, erschien meine Methode, die Pflanzen in ihrem Habitus, aber auch im Detail fotografisch zu erfassen, eine gute und praktische Lösung zu sein. Eine kleine Uhrmacherlupe, die ich dem Objektiv meiner Coolpix Kamera als Vorsatzlinse überstülpte, ermöglichte es mir, auch Makrofotos zu machen. So konnte ich in 2 Monaten über 180 Pflanzenspezies für den kleinen Naturpark Faia Brava fotografisch beschreiben und schliesslich identifizieren.

Aus diesen beiden anfänglichen “Projekten” heraus entstand schliesslich die Idee einer fotografischen Erfassung von artenreichen Pflanzengebieten der gesamten Iberischen Halbinsel. Als Vorbild für mein Vorhaben diente der Pflanzenführer von Oleg Polunin & B. E. Smythies: “Flowers of South-West Europe - a field guide.”[5], in dem 23 der wertvollsten “plant hunting regions”  der Iberischen Halbinsel und Südwestfrankreichs beschrieben werden.

Da jedoch die finanziellen Möglichkeiten zur Durchführung der notwendigen Reisen fehlten, schien eine Realisierung des Projektes aussichtslos. Ich musste also nach einer anderen Lösung suchen, wenn ich meinen Traum nicht gänzlich aufgeben wollte - und fand schliesslich mit der Idee einer virtuellen Rundreise im Internet um die Iberische Halbinsel den Schlüssel, meine Reisesehnsüchte doch noch verwirklichen zu können. Diese Idee passte ja gut zu dem Gedanken, den ich in einem Buch von Alain de Botton über <<Die Kunst des Reisens>>[6] gelesen hatte, dass wir häufig den grössten Genuss in den Sehnsüchten um eine Reise, mehr noch als in ihrer tatsächlichen Verwirklichung, verspüren. Endlich wieder dem Alltag und der gewohnten Umgebung entfliehen und neue und faszinierende Bilder und Eindrücke gewinnen!

Im Internet würden die interessantesten Überraschungen der in den von Polunin & Smythies beschriebenen Regionen mit Sicherheit auch auf mich warten und sie zu mir nach Hause bringen. Welche Veränderungen mochten sich in diesen 30 Jahren in diesen Gebieten vollzogen haben? Oder waren sie noch im gleichen unberührten Zustand wie damals? Sind Anzeichen des Klimawandels schon bemerkbar? Gibt es neue Naturschutzgebiete in den Gebieten und welche sozio-ökonomischen Veränderungen haben sich seitdem vollzogen - und vor allem, ist die Pflanzenwelt dort noch die gleiche wie damals? Das Internet würde es mir sicherlich ermöglichen, die meisten dieser spannenden Fragen, die mir jetzt spontan in den Sinn kamen, zu beantworten. Und mit der Zeit würde es mir vielleicht doch noch gelingen, das ein oder andere Gebiet auch wirklich bereisen und mit den Beschreibungen der Botaniker früherer Zeiten und den aktuellen Daten und Informationen abgleichen zu können.

Ich begann also, in Blogbeiträgen zu dem Pflanzenblog <<Flora da Serra da Boa Viagem (Figueira da Foz)>>  und in Zusammenarbeit mit dem im Jahre 2008 in Quiaios gegründeten Naturschutzvereins “Trilhos d’Esplendor” das Vorhaben einer virtuellen Rundreise um die Iberische Halbinsel in portugiesischer Sprache zu verwirklichen. Der Ausgangspunkt der Reise war der Algarve. Die Reise sollte sich dann nordwärts bis Galizien und von dort durch Asturien und kantabrischen Gebirge bis zu den Pyrenäen erstrecken. Von den Pyrenäen und der Iberischen Gebirgskette sowie der Iberischen Hochebene aus entlang der Mittelmeerküste bis in den Süden der Iberischen Halbinsel mit der Serra de Nevada, der Baetischen Gebirgskette angehörend, und schliesslich zurück zum Ausgangspunkt des Algarve.

Mit Beginn meiner Recherchen zu den im “Polunin & Smythies” angeführten Regionen stellte sich schon bald heraus, dass Polunin & Smythies in Wahrheit natürlich nicht die ersten Botaniker waren, die diese Gebiete besucht und botanisch beschrieben hatten. Denn vor ihnen, vor allem ab dem 19. Jahrhundert, hatten andere, allen voran der Deutsche Botaniker Heinrich Moritz WIllkomm, 1821 in Herwigsdorf (Sachsen) geboren, bereits damit begonnen, die Iberische Halbinsel pflanzen-systematisch zu erfassen und zu beschreiben. Heinrich Moritz Willkomm[7] und der Dänische Botaniker Johann Lange[8] waren dann auch die ersten, die im Zeitraum von 1861 bis 1880 gemeinsam eine komplette Flora der Iberischen Halbinsel in drei Bänden mit dem Titel <<Prodromus florae hispanicae>>[9], noch wie damals üblich, in Lateinischer Sprache veröffentlichten. Danach folgten andere Florenwerke, schon in den jeweiligen Landessprachen, mit Floren zu Portugal und Spanien sowie mit Lokalfloren. Und gerade jetzt ist die Flora Iberica[10], eine Gesamtflora der Iberischen Halbinsel in über 20 Bänden, fast abgeschlossen.

Das gemeinsame Projekt einer virtuellen Reise durch die Iberische Halbinsel konnte aus finanziellen und persönlichen Gründen leider nicht weitergeführt werden. Geblieben davon ist ein erster Teil der Reise durch Portugal in Form von Blogbeiträgen (siehe: “Flowers of South-West Europe - revisited)[11]. Der Umweltverein in Quiaios ist, wie so viele andere Projekte, auf Grund der aktuellen ökonomischen Krise in Portugal den notwendigen finanziellen Einschränkungen zum Opfer gefallen. Der Sitz des Vereins wurde verkauft. Dennoch, die Idee der Botanisch-Zoologischen Rundreise durch die Iberische Halbinsel mit Hilfe des Internets ist geblieben - und ich möchte sie nun in diesem Buch, auch auf den Spuren berühmter Botaniker der Vergangenheit, zu denen leider auch Oleg Polunin[12 und  Bertram E. Smythies[13] schon gehören, für die im Polunin & Smythies angegebenen “plant-hunting regions” unter Verwendung aktueller Daten aus dem Internet zu Ende bringen.


[1] ‘Marcel Proust Gesellschaft Köln - Proust-Zitate’. Accessed 8 March 2015. http://www.dmpg.de/marcel_proust/zitate/zitate.html.
[2] Proust, Marcel. A la recherche du temps perdu. Paris : Nouvelle revue française, 1919. http://archive.org/details/larecherchedutem01prouuoft.
[5] Polunin, Oleg, and B. E. Smythies. Flowers of South-West Europe: A Field Guide. New edition edition. Oxford ; New York: Oxford University Press, 1988.
[6] Botton, Alain de. Kunst des Reisens. Auflage: 6. Frankfurt am Main: FISCHER Taschenbuch, 2003.
[7] ‘Heinrich Moritz Willkomm’. Wikipedia, 2 January 2014. http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Heinrich_Moritz_Willkomm&oldid=126051695.
[8] ‘Johan Martin Christian Lange’. Wikipedia, 3 July 2014. http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Johan_Martin_Christian_Lange&oldid=131823460.
[9] Lange, Joanni, and Moritz Willkomm. Prodromus florae hispanicae seu synopsis methodica omnium plantarum in Hispania. Stuttgart: E. Schweizerbart, 1861.
[10] ‘Flora Iberica. Plantas Vasculares de La Península Ibérica E Islas Baleares’. Accessed 5 March 2015. http://www.floraiberica.es/.
[11] Engels, Publicada por Horst. ‘Flora Da Serra Da Boa Viagem (Figueira Da Foz): Flowers of South-West Europe Revisited (I - Introdução)’. Accessed 5 March 2015. http://floradaserradaboaviagem.blogspot.pt/2014/11/flowers-of-south-west-europe-revisited.html.
[12] Olig Polunin verstarb im Juli 1985
[13] Bertram E. Smythies verstarb am 27. Juni 1999

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