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Wednesday, November 11, 2015

Annex 3 - Willkomm - “Algarbien”.

Eine Botanisch-Zoologische Rundreise auf der Iberischen Halbinsel.

Auf der Suche nach der Verlorenen Zeit

Von Horst Engels


Annex 3 - “Algarbien” (Zehntes Kapitel in Band III) in Moritz Willkomm’s “2 Jahre in Spanien und Portugal. - Reiseerinnerungen”. (pp. 259-305)






Zehntes Kapitel.


A l g a r b i e n.

»O Herr! Wie reizend ist es anzusehn,

Wie die Natur bedacht dies prächt’ge Land;

Wie roth die Frücht’ an allen Bäumen stehn,

Welch’ schöner Anblick an der Hügel Rand !«

Byron, Childe Harold.



Ein leichter Kahn, gerudert von zwei herculischen ayamontiner Fischern, schaukelte mich in früher Morgenstunde über den breiten Strom an das portugiesische Ufer. Nachlässig im Nachen ruhend betrachtete ich aufmerksam die immer näher rückende Fronte von Villareal, die von Spanien aus einem gewaltigem Palast gleicht. Die Häuser sind nämlich ganz gleich gebaut, mehrere Stock hoch und stehen dicht aneinander gereiht in einer schnurgeraden Linie am Ufer des Guadiana. Sie sind sämmtlich weiß angestrichen und mit Balcons verziert. Der übrige Theil der Stadt aber, der hinter dieser imponirenden Häuserreihe liegt, besteht aus schmutzigen Gassen mit schlechten, einstöckigen, ja zum Theil blos ein Erdgeschoß enthaltenden Häusern, die größtentheils der Balcons entbehren. Villareal de Santo Antonio besitzt ein sehr geringes Alter. Es wurde nämlich erst im Jahre 1774 unter der Regierung Jofephs I. durch dessen allmächtigen Minister, den bekannten Marquis von Pombal, gegründet. Dieser trug sich mit dem großartigem Plane, an der Mündung des Guadiana einen großen Stapelplatz des Handels anzulegen; allein dies Project scheiterte aus denselben Gründen, welche verhindert

(S. 260) - Landung bei Villareal. Die ersten Portugiesen.

haben und stets verhindern werden, daß Ayamonte eine große Handelsstadt ist oder werden kann. Deshalb ward auch Villareal blos zum kleinem Theil vollendet, denn die gegenwärtige Stadt ist kaum ein Viertheil von der projectirten. Villareal ist ein offener Ort von viereckiger Gestalt und ganz regelmäßiger Bauart. Außer dem großem Constitutionsplatz in seiner Mitte, welcher mit einem Obelisk geziert ist, der das Andenken Josephs l. verewigt, besitzt die Stadt gar nichts, was irgend der Erwähnung werth wäre.



Eine Anzahl brauner zerlumpter Kerle hatten sich am Ufer versammelt, um uns beim Landen behülflich zu sein. Als unser Boot so nahe war, daß sie bemerken konnten, es befinde sich ein »Estrangeiro« in demselben, nahm die ganze Gesellschaft die Hüte ab und kaum hatte ich den Boden betreten, so drängten sie sich um mich, mir mit lautem Geschrei ihre Dienste anbietend. “Que mand’ o Senhor?” - (Was befiehlt der Herr ?) fragte der eine, mir Stock und Regenschirm aus der Hand nehmend; ”Que’ stá ao serviço de Vossenhoria?” (Was steht Ew. Herrlichkeit zu Diensten?) ein anderer, sich meines Gepäckes bemächtigend; “aonde deseja ser guiado séu illustrissima mercé?” (Wohin wünscht Ew. erlauchte Gnaden geführt zu werden?) brüllte ein dritter, mit einer tiefen Verbeugung sich mir zum Führer aufdringend. ,,’stá te quieto, Portuguecito, que ja trovaremos nosotros mesmos o caminho !” (Halt Dich ruhig, Portugieschen wir werden schon selbst den Weg finden) rief einer von meinen Spaniern, welcher die Arme gekreuzt und seine catalonische Sackmütze tief über den Kopf herabgezogen, bisher schweigend mit beträchtlichem Lächeln die herumtanzende Lumpenbande betrachtet hatte, in gebrochenem Portugiesisch dem zuletzt erwähnten Kerl zu, ihm zugleich einen Stoß versetzend, daß er auf den Sand flog. Schweigend raffte sich der Portugiese wieder auf, drückte seinen zerlöcherten Hut

(S. 261) - Die portugiesische Douane.

auf has struppige Haar unb machte sich, dem riesigen Ayamontiner einen wütenden Blick zuwerfend und ein zischendes “malditos sejão os Hespanhoes ! “ (Verflucht seien die Spanier) durch die Zähne stossend, eiligst aus dem Staube. In Begleitung des Spaniers und der beiden Portugiesen, die meine Effecten aufgerafft hatten, und gefolgt von dem ganzen Tross ihrer Genossen, welche den Hut fortwährend in der Hand neben mir herliefen und mir Gott weiss Alles in die Ohren schrien, schritt ich den Quai entlang und wollte eben in eine Gasse einbiegen, als ein Mann, der an der Ecke stand, den ganzen Zug ins Stocken brachte. An seinem grauem, militärisch zugschnittenem Rocke mit blauen Aufschlägen erkannte ich, daß ich einen Douanier vor mir habe. Er grüßte mich höflichst und sprach einige Worte zu mir, von denen ich keine Silbe verstand, doch merkte ich, daß mein Gepäck visiert werden müsse, ehe ich in die Stadt hineingehen dürfe. Ich fand dies ganz in der Ordnung und begab mich sofort nach der «Alfandega« (Douanegebäude), einem Hause im Mittelpunkt des Quais, von dessen Giebel die blau und weißgestreifte portugiesische Flagge wehte. Hier nun hatte ich gleich Gelegenheit, die portugiesischen Behörden kennen zu lernen. Der mit der Visitation beauftragte Beamte war zwar zugegen, meinte aber, ich müsse bis um 9 Uhr warten , denn eher werde die Expedition nicht geöffnet, könne er folglich auch nicht meine Sachen besichtigen. Dieser Grund wollte mir nicht recht einleuchten, allein der Portugiese beharrte bei seinem Ausspruch und machte Miene, sich zu entfernen. Als ich jedoch bemerkte, ich sei gern bereit, ihm seine Mühe zu vergelten, lächelte er schlau und nahm sogleich meine Effekten in Augenschein, unter welchen er trotz alles Suchens außer einigen Rissen Löschpapiers nichts Verbotenes sand. Jenes mußte ich wieder nach Ayamonte zurückschicken, da in Portugal ebenso wie in Spanien die Ein-
(S. 962)  - Die Policeibehörden.

fuhr fremden Papiers jeder Art untersagt ist.  Als die Douane glücklich beseitigt war, begab ich mich auf die «Administração do Concelho« (Policei), um mir den Paß visiren zu lassen. Dies hielt über eine halbe Stunde aus, indem ich dem Administrador meinen deutsch geschriebenen Paß übersetzen mußte, worauf er mir einen portugiesischen Interimspaß zur Bereisung des Königreichs Algarbien ertheilte. Sowohl dieses Geschäft als die frühere Unterredung mit den Douaniers wurden in einem höchst zweifelhaftem Idiom geführt, wenigstens von meiner Seite, denn ich wußte damals nur sehr wenig Portugiesisch und redete daher ein schauderhaftes Gemisch aus Portugiesisch und portugiesirtem Spanisch. Nun begriffen zwar die Portugiesen sehr wohl, was ich wollte, allein ich verstand sie beinahe gar nicht und deshalb war es mir entgangen, daß mir der Administrador gesagt hatte, er werde meinen Nationalpaß an das Governo civil in Faro schicken, wo er mir bei meiner Abreise aus Portugal wieder eingehändigt werden würde. Ich dagegen glaubte, er bliebe bis zu meiner Rückkehr in Villareal und wurde in diesem Wahne noch durch den portugiesischen Paß bestärkt, in welchem in Bezug auf meinen deutschen Paß folgende, höchst unbestimmte Worte standen: ,,que fica nesta administracão, para se lhe dar o destino conveniente« d.h. welcher in dieser Administration zurückbleibt, um ihm die ihm zukommende Bestimmung zu geben. Ich erwähne dies hier, weil mir daraus in der Folge große Unannehmlichkeiten erwuchsen. Es ist übrigens unverzeihlich, daß die Zoll- und Policeibehörden von Villareal bei dem regen Verkehr, welcher zwischen diesem Ort und Ayamonte herrscht, nicht einmal so viel Spanisch wissen, um ein Gespräch über die Paß- und Zollangelegenheiten ihres Landes führen zu können.

(S. 263) - Greller Contrast zwischen den Andalusiern und Algarbiern

Vielleicht wollen sie blos nicht Spanisch sprechen aus Nationalwiderwillen, denn der Portugiese haßt den Spanier mehr als  alle übrigen Nationen der Welt deshalb, weil der Spanier die Portugiesen verachtet und sie, wo er es nur kann, verspottet und lächerlich zu machen sucht, wozu allerdings der komische Hochmuth der Portugiesen hinreichend Anlaß giebt. Aus diesem feindseligen Verhältnisse erklärt sich die höchst überraschende Erscheinung, daß beide Völker dicht neben einander wohnen können, ohne sich im Geringsten zu amalgamiren. Während längs der Pyrenäen, die doch eine bedeutende natürliche Scheidewand sind, Franzosen und Spanier ziemlich unmerklich in einander übergehen, ja die Catalonier und die Bewohner von Languedoc, was namentlich die Sprache anlangt, beinahe ein und dasselbe Volk sind, bemerkt man zwischen den Spaniern und den Portugiesen auch nicht die leiseste Spur von einem Uebergange, obwohl hier, wenigstens an der Grenze Andalusiens, blos ein Strom beide Völker scheidet. Ayamonte ist eine durch und durch andalusische Stadt und seine Bewohner sind sowohl in Hinsicht auf Körperwuchs und Gesichtsbildung als in Betreff der Sprache, Sitten und Tracht ebenso ächte Andalusier als die Eingeborenen von Sevilla und Cordoba. Sobald man aber den Guadiana überschreitet, befindet man sich wie durch Zaubergewalt unter ein total fremdes Volk versetzt. Weder die Bauart und Einrichtung der Häuser noch die Gesichtsbildung, die Tracht, Sitten und das Benehmen der Menschen erinnern nur im Entferntestem noch an das gegenüberliegende Andalusien; die Anwohner des westlichen Guadianaufers sind bereits so vollkommene Portugiesen, wie man sie tief im Lande drinnen nicht besser finden kann. -
Ich hatte beschlossen, Faro, die Hauptstadt Algarbiens, welche 9 Leguas von Villareal entfernt ist, zum Standquartier während meines Aufenthalts in Algarbien zu machen. Sobald daher die Paßangelegenheit besorgt war, miethete ich von einem

(S. 264) -  Reise nach Faro. Umgebungen von VillareaL Montegordo.

in Villareal wohnenden Spanier ein Pferd für mich und mein Gepack, um noch denselben Tag jene Stadt zu erreichen. Die Unterhandlungen mit der Douane und der Policei hatten so viel Zeit gekostet, daß es bereits 9 Uhr war, als ich Villareal in Begleitung eines jungen Burschen verließ, welcher das Pferd zurückbringen und mir unterwegs als Führer und Knecht dienen sollte. Das ganze Stück Landes, das durch die Lagunen von Castro-Marim, durch den Guadiana und den Ocean abgegränzt wird, besteht aus purem Flugsande, der sich längs der Küste zu langen parallelen Reihen ungeheuer hoher Dünen aufgethürmt hat, welche von fern gesehm im Lichte des Mondes gewaltigen Schneemassen gleichen. Halbverweht von dem feinem losem Flugsande, in welchem der Pfad alle Augenblicke verschwindet, liegen hier in den durch das durchsickernde Seewasser fortwährend feucht erhaltenen Niederungen große Plantagen süßer Orangen und Citronen, deren Baume damals vor goldner Fruchtfüile fast brachenz links davon bemerkt man die elenden Rohrhütten des Fischerdorfes M o n te g o r d o, Hauptpunct der Sardinenfischerei an der algarbischen Küste. Nach Ueberschreitung einer niedrigen pinienbewaldeten Hügelkette, welche mir den Anblick Ayamontes und Castro-Marims entzog, betrat ich eine Gegend, die mit allen Reizen füdlicher Fruchtbarkeit prangte und mich wegen ihrer herrlichen Bebauung lebhaft an die gesegnetsten Gegenden des Königreichs von Valencia erinnerte; Obwohl der ganze Küstenstrich Algarbiens aus bloßem Sande besteht, so ist er doch durch den unermüdlichen Fleiß seiner sonst wenig civilisirten Bewohner vermittelst künstlicher Bewässerung, sei es durch Graben unzähliger Brunnen, sei es durch sorgfältige Benutzung der Küstenflüsse, in einen prachtvollen Garten verwandelt worden, dessen brillantesten Punct die Umgebungen von Tavira bilden. Wahre Wälder alter Oliven und breitästiger reichbelaubter Johannisbrodbäume welche

S. 265. Brillante Cultur des Küstenstriches.


auch die Vorgebirge des algarbischen Gebirgs fast gänzlich bedecken, wechseln mit grossen Plantagen von Feigen- und Orangenbäumem mit Weingärten und Gemüseland ab; die Niederungen zeigen sich von hellgrünen Weizensaaten erfüllt, die von Maulbeer- und Mandelbäumen oder von Agave- und Cactushecken umgeben sind; kein Fleckchen ist unbebaut und das ganze Land, aus dessen immergrünen Fruchtwalde hier und da eine hohe Palme ihre zartgefiederte Blätterkrone ewporhebt, wimmelt von Gehölzen und freundlichen Ortschaften, deren gutgebaute Häuser den Wohllstand ihrer Bevötkerung bezeugen. Am prächtigsten ist die Gegend zwischen den Flecken Conceição und Nossa Senhora da Luz oder der Concelho (Bezirk) von Tavira. Hier glaubt mit sich wirklich in einem Park zu befinden. Die Wege, welche nach den zahlreichen Gehöften hingehen, sind breit,  sauber und von üppigen Hecken eingefasst und die dichtbeblätterten Kronen der alten in den anstossenden Gärten stehenden Johannisbrodbäume wölben schattige Lauben über ihnen empor. Zwischen ihrem dunkelm Grün schimmen allenthalben die goldenen Früchte der Hesperidenbäume hindurch, deren Pflanzungen mit niedrigen weissgekalkten Mauern umgeben sind. Meistens stehen auf diesen Mauern noch kurze Säulen, zwischen denen die Weinrebe üppige Netze bildet. Hohe schwarze Cypressen und grazile Pinien umgeben gewöhnlich die “Quintas” (Landhäuser), die sich mit ihren weissen Mauern und hellgrünen Jalousien ungemein freundlich in ihren fruchtbaren Umgebungen ausnehmen. Mitten im Schooße dieser wonnigm Gefilde ruht Tavira; die schönste Stadt Algarbiens, woselbst wir um 1 Uhr Mittags anlangten und eine Stunde rasteten.

Tavira zählt 8800 Einwohner und liegt auf beiden Ufern des Rio Sequa, der eine halbe Legua weiter südlich in den Ocean fällt. Eine lange, sehr schön gebaute Steinbrücke führt

(p. 266) - Die Stadt Tavira

über diesen für kleine Fahrzeuge schiffbaren Küstenfluß, dessen Ufer nach dem Meere zu von Salzmorästen garnirt sind, wie es fast mit allen Flüssen Algarbiens der Fall ist. An seiner Mündung bildet er eine geräumige, durch zwei Forts gut vertheidigte Rhede,  in welcher selbst große Seeschiffe ankern können.  Am schönstem nimmt sich Tavira von der-Brücke aus. Hier hat es wirklich ein großstädtisches Ansehen, indem beide Ufer  von einer langen Reihe stattlicher Häuser eingefäßt sind. Die grössere Hälfte der Stadt liegt auf dem rechten Ufer,  besitzt mehrere, mit Kuppeln gezierte Kirchen und Klöster und zieht sich sanft am Fuße der bewaldeten Hügel empor, welche die Vorberge der Sierra bilden und zwischen denen der Sequa aus einem anmuthigem Thale hervorströmt. Sehr hübsch ist die Praça da Constituição (der Constituitionsplatz), ein geräumiger, von grossen und schönen Gebäuden umgebener Platz am rechten Flußufer.

Ueberhaupt ist Tavira durchgängig freundlich gebaut; seine Häuser sind modern und haben fast sämmtlich Balcons, die man sonst in Algarbien bei Weitem nicht so häufig antrifft wie in Andalusien. Das sehenswertheste Gebäude Taviras ist die der heiligen Jungfrau geweihte Hauptkirche, die ehedem eine Moschee gewesen sein soll. In ihr befindet sich das marmorne Denkmal des portugiesischen Ritters Dom Païo Peres Correia, welcher Tavira am 11. Juni 1242 den Mauren entriss. Noch erinnern die alterthümlichen Thore der Stadt sowie ein alltes finsteres Castell auf dem rechtem Ufer am Eingange der Brücke an die Herrschaft der Araber.
Bis nach Tavira  war es trotzt meiner geringen Kenntnisse der Landessprache ganz gut gegangen, indem der Bursche, welcher mich begleitet hatte, obwohl ein geborener Portugiese, sehr geläufig spanisch sprach.  Mein Pferd war aber blos bis Tavira gemiethet und jener Bursche verliess mich daher jetzt, um sein

(p. 267) Weiterreise mit einem portugiesischen Reitknecht

Thier nach Villareal zurückzureiten Ich bekam nun ein Maulthier unter der Obhut eines andern Burschem der mich bis Faro geleiten sollte. Dieser Kerl sprach weder spanisch, noch verstand er eine Silbe davon. So oft sich ihn um etwas befragte, nahm er ehrerbietig seinen Hut ab und lachte mir ganz vergnüglich ins Gesicht, wenn er mich nicht begriffen hatte. Er trug sich ziemlich zerlumpt und schmutzig, schlenderte meist faul hinter dem Maulthiere her, sich an den Schweif desselben anhaltend, und öffnete den Mund höchstens, um einen Vorübergehenden zu grüssen oder ein “arre besta!” auszustossen, wobei er niemals unterließ, das ebenfalls träge Thier mit seinem zugespitzten Stock in die Beine zu stechen.  Eine Stunde hinter Tavira ging er plötzlich abseits in ein Olivengehölz, mit bedeutend, ich möge nur immer weiterreiten, er wende schon nachkommen. Ich trabte also eine geraume Zeit langsam fort, bis ich an eine Stelle gelangte, wo sich der Weg theilte. Während ich hier wartete, hörte ich die Melodie des Fandango singen und sah bald darauf einen Reiter herankommen, den ich, obwohl er nach portugiesischer Sitte gekleidet war, an seiner Physiognomie nnd seinem ganzen Wesen für einen Spanier erkannte. Ich fragte ihn , ob er meinen Burschen gesehen habe, was er bejahte, mir zugleich die Versicherung gebend, daß derselbe schon nachkommen werde. Er habe ihn gehörig ausgescholten wegen seiner Nachlässigkeit, denn er kenne ihn persönlich, indem er in Tavira wohne. Er sei ein gutmüthiger Kerl, fügte der Spanier hinzu, aber ein Bischen einfältig und so faul, daß er wenigstens einer halben Stunde bedürfe, um sich die Jacke zuzuknöpfen. Wenn er sich· aber einmal in Bewegung setze, laufe er schneller als ein trabendes Pferd. Da der Spanier dieselbe Straße zog wie ich, so ritt ich in seiner Gesellschaft weiter und benutzte diese Gelegenheit, um bei ihm Sprachstunde zu nehmen. Denn obwohl ich mich in früherer

(p. 268) Der algarbische Dialect. Das Städtchen Fuceta.

Zeit etwas mit dem Portugiesischem beschaftigt hatte und die Aussprache desselben kannte, so verstand ich doch jetzt, wo ich mich in Portugal selbst befand , soviel wie gar nichts. Das Portugiesisch klang mir wegen seiner breiten Bocale und seiner vielen Zisch- und Nasallaute eher wie ein Gemisch and englisch und französisch ais wie eine dem Spanisch oder Italienisch verwandte Sprache. Erst nach einigen Tagen, als sich das Ohr etwas an den Klang der Sprache und namentlich an die höchst seltsamen unkenartigen Nasallaute , welche im Portugiesischem so häufig vorkommen, gewöhnt hatte, gelang es mir, die Leute zu verstehen. Freilich sprechen die Algarbier auch kein reines Portugiesisch. Sie verschlucken fast immer die Endsilben, lassen hier etwas weg, hängen dort etwas an und verwandeln namentlich das e sehr häufig in einen unangenehm klingendem zwischen a und ä schwankenden Laut. Dazu kommt, daß sie sowohl sehr rasch als in einem hohem singendem Tone sprechen, Umstände, die das Verstehen sehr erschweren. Gebildete Leute, die reines Portugiesisch sprachen, verstand ich bald recht gut, besonders wenn sie sich die Mühe gaben langsam zu reden, ohne dabei übermäßig zu schreien, wie sie gewöhnlich zu thun pflegen, wenn sie mit einem Ausländer verkehren müssen. (Die Spanier machen es übrigens gerade so.)
Eine gute Legua hinter Nossa Senhora da Luz gelangt man an ein breites, baumloses und theilweis unbebautes Thal, welches von einem Bach durchströmt wird. Jenseits desselben zieht sich ein niedriger, mit Zwergpalmen nnd einzelnen Pinien bewachsener Höhenkamm hin, der an seinem südlichem Ende in steilen Felsen in das Meer hinabstürzt. Auf diesem Horstbirge liegt das Städtchen Fuceta, ein erst ganz neu gebauter Ort. Im Norden gewahrt man die düstere waldbebeckte Serra de Cadeiro, wie dieser Theil des algarbischen Scheidegebirges


(p. 269) Der Serro de São Miguel. Ankunft in Faro.


heißt, aus deren Wellenbergen der Serro de São Miguel, eine schöngeformte sanftgerundete Bergkuppe von 2000 Fuss Höhe, die eine Eremitage auf ihrem Scheitel trägt, weithin sichtbar hervorragt. An ihrem südöstlichem Fuße ruht der große Flecken Moncarapacho in einem Walde von Johannisbrodbäumen und zahlreiche Quintas schimmern wie um Tavira längs des Saumes der dundeln Serra. Der Spanier verließ mich hier, da ihn sein Geschäfte nach Fuceta führten, und so ritt ich allein weiter durch mehrere freundliche und schöngelegene Dörfer und fruchtbare, reich gesegnete Gefilde. Schon war die Sonne untergegungen und mein Portugiese erschien noch immer nicht. Endlich sah ich ihn herbeischlendern, während ich am Eingange eines Piniengehölzes wartete, wo sich die Straße von Neuem in mehrere Wege spaltete. Sobald er mich erblickte, nahm er wieder seinen Hut ab und sagte gravitätisch: ,,Agora estou aos ordens de séu illusstrissima mercé” (Jetzt stehe ich Ew. erlauchten Gnaden zu Befehl.) Ich weiß nicht, ob ich ein so frommes und ehrwürdiger Ansehen hatte, daß er mich für einen Bischof halten konnte, kurz- er nannte mich stets illustrissima mercé! Als ich ihm Vorwürfe wegen seines Zurückbleibens machte, lächelte er blos einfältig und bemerkte einmal über das andere: “Temos tempo, Senhor, temos tempo!” Wir hatten aber keine Zeit mehr zu verlieren, denn es war bereits finster und die Gegend bestand von jenem Piniengehölz an aus einer morastigen, mehrere Stunden breiten Niederung, wo der Weg von Fuhrwerken nnd Lastthieren so zerrüttet war, daß das Maulthier oft bis an den Bauch in den Koth versank. Endlich gewahrte ich beim falbem Schein der Sterne einen mit einer Kapelle gekrönten Hügel vor mir und zur Linken das Meer und eine nahe Seigerschelle verkündete die neunte Stunde. Gleich darauf betrat

(p. 270) Portugiesische Unreinlichkeit.

ich die schlecht gepflasterten Gassen von Faro, wo ich in einer “Estalagem” (Gasthof) nahe am Hafen meine Wohnung nahm.
Hier nun begrüßte mich gleich beim Eintritt in das Haus etwas, worin Portugal große Verwandtschaft mit Italien haben mag, nämlich die Unreinlichkeit. Wer von Spanien nach Portugal kommt und namentlich längere Zeit in Andalusien gelebt hat, wo im Allgemeinem eine lobenswerthe Reinlichkeit herrscht, der wird höchst unangenehm berührt, sobald er den portugiesischen Boden betritt. Die andalusischen Städte sind durchgängig reinlich; Cadiz zeichnet sich sogar durch eine beinahe holländische Sauberkeit aus. Und sind vielleicht auch die Gassen schmutzig, so kann man doch darauf rechnen, daß das Innere der Häuser reinlich ist. Selbst die Bauernhäuser habe ich im Allgemeinem (Ausnahmen giebt es natürlich hier wie überall) reinlich gefunden; namentlich aber halten die Andalusier und die Spanier überhaupt auf große Sauberkeit in der Küche und bei den Geräthschaften. Das meist aus Kupfer bestehende Kochgeschirr ist immer spiegelblank und auch die Teller, Gläser, Krüge ec. sehen immer aus , als wenn sie noch niemals gebraucht worden wären. So z. B. war der Cortijo de San Geronimo in der Sierra Nevada zwar kein Muster von Reinlichkeit zu nennen, im Gegentheil sehr schmutzig , aber das Geschirr war stets blank gescheuert und auch das Bett reinlich. In Portugal ist dies Alles anders. Nicht nur sind die Gassen äußerst unreinlich, auch die Häuser sind meistentheils im Innern so schmutzig, daß man kleben bleibt, und zumal ist, was das Geschirr anlangt, an Reinlichkeit nicht zu denken. Auch kennt man hier nicht die höchst lobenswerthe Sitte, zwischen den einzelnen Gerichten die Messer und Gabeln zu wechseln, eine Sitte, die ich überall in Spanien, selbst in den Dorfposaden, angetroffen habe. Jn Portugal wischt man die Messer nach aufgehobener Mahlzeit nicht einmal ab,
(p. 271) Portugiesische Unreinlichkeit.

sondern lässt die daran hängenden Ueberreste des Essens eintrocknen und legt sie in diesem Zustanbe bei der nächsten Mahlzeit wieder auf den Tisch. Desgleichen nimmt man sich nicht die Mühe, die Gläser auszuspülen, wenn sie gebraucht worden sind, und man kann sicher sein, fordert man ein Glas, an demselben die Spuren von mehreren Sorten Wein zu finden. Die Estalagem von Faro war an und für sich besser als manche spanische Posada, der ich das Prädikat “gut” ertheile. Mein Zimmer war zwar klein, aber freundlich , das Bett ausgezeichnet gut, die Bedienung prompt, das Essen nicht schlecht, aber, aber! Gleich die Hausflur starrte so von Koth, baß die Steine des Pflasters kaum daraus hervorragten, und noch dazu besaß dieser Schmutz einen sehr penetranten Geruch, indem dieser Raum des Hauses in Ermangelung eines wirklichen cabinet d’aisances nach Belieben als solches benutzt wurde. Die Treppe schien Wochen lang nicht gekehrt, geschweige denn gewaschen worden zu sein. Der Vorsaal im obern Stockwerke war zwar gefegt, allein man hatte es für überflüssig gehalten, die Kehrichthaufen wegzuschaffen. Mein Zimmer war voller Staub und ward erst auf meinen ausdrücklichen Befehl gereinigt. Mehrere Tage zuvor mochte es bewohnt gewesen sein, denn ich bemerkte große Flecken von vergossenem Wein und verschiedenen Brühen auf dem Tische, die zum Theil noch nicht ganz getrocknet waren. Auch befand sich das Bett noch in demselben Zustande, wie es jener Gast hinterlassen hatte, und die Wirthin würde es ohne Weiteres für mich zurecht gemacht haben, ohne es vorher neuwaschen überzuziehen, hätte ich mir dies nicht erpreß ausgedungen. Und so mag es ungefähr in allen portugiesischen Gasthöfen zugehen; wenigstens habe ich keine Estalagem gefunden, die sauberer gewesen wäre, wohl aber manche, die weit schmutziger war. Was die Gassen anlangt, so geht es in Villareal und in Tavira mit

(p. 272) Portugiesische Unreinlichkeit.

dem Schmutz noch an. Jn letztgenannter Stadt sind die Plätze und Hauptstraßen sogar reinlich zu nennen. Anders aber ist es in Faro und in den übrigen Städten Algarbiens, von den Dörfern gar nicht zn reden. Hier wirft man die Kehrichthaufen mitten auf die Strasse, wo möglich in die Rinnsteine, damit sie hübsch durchweicht werden, nnd hier bleiben sie, bis sie einmal ein Regenguß wegschwemmt. Unter, auf und zwischen diesen Schmutzhaufen liegen Orangenschalen, Abgänge von Gmüse, zerbrochenes Geschirr, alte Besen und Matten, zerrissenes Schuhwerk, Lumpen aller Art, Fisch- und Hühnerköpfe, Gedärme von Geflügel, abgehauene Kalbsfüsse, Knochen, auch wohl todte Hunde, Katzen und Ratten bunt durch einander!  Man bedenke die große Hitze, welche in Südportugal selbst während des Winters herrscht und in Folge deren Alles, namentlich aber animalische Körper, außerordentlich schnell in Verwesung übergeht, und man wird sich einen Begriff von dem pestilentialischem Gestank machen können, der aus den Gassen der Ortschaften Algarbiens anfsteigt! Blos der außerordentlichen Reinheit der Luft und dem frischem Seewinde ist es zuzuschreiben, daß nicht fortwährend verheerende Seuchen in diesem Lande herrschen. Selbst die schönsten Theile von Faro starren unter dieser Schmutzdecke. Die am Hafen gelegene Praça da Rainha (der Platz der Königin), welche von großen geschmackvollen Gebäuden umschlossen nnd sogar mit marmornen Ruhebanken versehen ist, wäre ein ganz prächtiger Platz , läge sein Pflaster nicht fortwährend voller Unrath. Ebenso ist es mit der langen und breiten Rua da Rainha, der schönsten Gasse von Faro, die auf beiden Seiten von hübschen, mehrstöckigen, balrongeziertrn Häusern eingefaßt ist. Die Einwohner der Stadt scheinen hierin nichts Anstößiges zu finden. Selbst die· feinsten Damen scheuen sich nicht, durch diese Schmutzgassen zu gehen, sondern heben

(p. 273) Bauart und Lage von Faro.

sich die Kleider auf und springen nun wo möglich in Atlasschuhen lustig über die Kehrichthaufen von einem Stein zum andern. S’ist eine himmlische Wirthschaftl
Faro ist zwar eine moderne und freundliche Stadt, doch bei Weitem nicht so schön wie Tavira, hat überhaupt ein ganz anderes Ansehen. Tavira trägt noch völlig den Charakter der spanischen Städte, indem fast alle seine Häuser Balcons besitzen. Die Häuser von Faro dagegen (und ebenso die der übrigen Ortschaften Algarbiens) haben nur selten Balcons, sondern meist blos Fenster mit Jalousieen. Letztere sind theils von der gewöhnlichen, auch bei uns gebräuchlichen Art, theils von einer ganz eigenthümlichen Beschaffenheit. Sie bestehen nämlich häufig aus einem gitterartigen Geflecht von dünnen Holzspänen, ungefähr so wie die früher beschriebenen maurischen Jalousieen der andalusischen Städte , werden aber nicht blos vor die Fenster gestellt wie jene, sondern sind am Fensterstock befestigt und zwar so, daß sie sich zur Hälfte von unten nach oben zu emporschlagen lassen wie unsere Marquisen. Namentlich liebt man diese Jalousieen bei den Erdgeschossen. Ferner sind die Fußböden der Zimmer überall in Algarbien und ich glaube in ganz Portugal gedielt, während sie in Spanien stets entweder mit Backsteinen, mit Gips oder mit Marmor belegt sind. Auch die Treppen pflegen meist hölzern zu sein. Wegen dieser Einrichtungen erinnern die portugiesischen Häuser mehr an den Norden als an den Süden. Faro ist sehr unregelmäßig gebaut, aber ziemlich groß, lebhaft und volkreich (es besitzt 11,700) Einwohner.) Seine Lage ist nicht besonders , indem die Umgebungen flach, die Gebirge ziemlich entfernt und die Ränder seiner Bucht, welche durch die Mündung eines unbedeutenden Küstenflusses gebildet wird, von Morästen erfüllt sind. Ein von niedrigen sumpfigen Inseln abgegränzter Theil dieser Bucht, deren östlichen Schenkel eine


(p. 274) Der Hafen. Das Schloß und andere öffentliche Gebäude.

flache, in das Cabo de Santa Maria aussaufende Landzunge, den westlichen dagegen ein sandiger Höhenkamm bildet, auf dessen äußerstem Vorsprung das Fort Barreta liegt, dient als Hafen und besitzt Wasser genug, um selbst größere Seeschiffe aufzunehmen. An seinem östlichem Saume erhebt sich ein flacher Hügel, aus dem ein Theil der Stadt und das von alten maurischen Befestigungen umgebene Schloß, ein großes imposantes Gebäude, liegen. Die größere Hälfte der Stadt zieht sich an der sanft abschüssigen, aus gelbem Sandstein bestehenden Küste empor, aus deren oberstem Rande sich eine Redoute und mehrere befestigte Linien befinden, die zur Zeit des Franzosenkrieges errichtet wurden. Eine öffentliche, mit Bäumen bepflanzte Promenade, deren in Spanien fast keine Stadt entbehrt, habe ich weder in Faro noch in andern Orten Algarbiens bemerkt. - Die Umgegend ist gut bebaut, aber nicht so baumreich wie um Tavira. Es giebt in Faro eine ziemliche Menge von Kirchen und Klöstern, doch ist fast keins von diesen Gebäuden durch schöne Architektur ausgezeichnet. Selbst die Sé oder die Cathedrale, eine im florentinischem Styl erbaute Kirche, ist weder groß noch schön zu nennen und ihr Inneres mit Zierrathen überladen. Als Curiosum erwähne ich, daß sowohl der Bischof, welcher die Messe las, als die Canonici blutrothe Strümpfe trugen und auch in solchen auf den Gassen umherspazierten. Sonst gehen die portugiesischen Geistlichen wie die spanischen gekleidet, nur daß sie nicht jenen seltsamen, zweikrämpigen, beinahe wie eine Dachrinne aussehenden Hut haben, der bei der spanischen Geistlichkeit gebräuchlich ist, sondern eine eigenthümliche barettartige Kappe tragen. -
Nach dreitägigem Aufenthalt in der Hauptstadt Algarbiens begab ich mich in das Innere des Landes und untersuchte auf einer zweiwöchentlichen Reise beinahe die ganze westliche Hälfte

(p. 275) Allgemeine Schilderung Algarbiens. Sein natürlicher Reichthum.


der Provinz. Bevor ich aber diese Reise schildere, die mich an manche sehenswerthe und wenig bekannte Punkte führte, halte ich es für passend, einige allgemeine Bemerkungen über Algarbien und seine Bewohner vorauszuschickem Das kleine Königreich Algarbien zerfällt sehr natürlich in drei mit der Südküste parallel laufende Streifen, welche das Volk sehr genau und richtig durch die Namen ,,Costa”, Küste, “Barrocal”, Hügelland und ,,Serra”, Gebirge, unterscheidet. Der höchstens drei Stunden breite Küstenstrich besteht, wie ich schon früher bemerkt habe, aus Sand, das Hügelland aus Kalk, Kalktuff, Mergel und Thon, das Gebirge aus Thonschiefer und Grauwacke wie die Sierra Morena, deren Fortsetzung es ist. Trotz dieses keineswegs ergiebigen Bodens zeichnen sich alle Theile Algarbiens mit Ausnahme der Serra durch ungemein große Fruchtbarkeit aus. Die Ursachen hiervon sind theils der Wasserreichthum der Gebirge, theils die Lage des Landes an der See, die ein mildes Klima und feuchte Luft bedingt, theils der Fleiß seiner Bewohner. Algarbien ist die kleinste Provinz Portugals, denn sein Flächenraum beträgt kaum hundert Quadratmeilen, aber sowohl die bevölkertste als die ergiebigste und reichste. Zwar ist der eigentliche Ackerbau von keiner Bedeutung, dagegen erzeugt Algarbien viel mehr an Baumfrüchten aller Art als alle übrigen Provincen Portugals zusammen. Besonders liefert es ungeheuere Mengen von Feigen, süßen Orangen, Citronen und Johannisbrod, welche Früchte die hauptsächlichsten Zweige seines activen Handels ausmachen. Der größte Theil davon geht nach England und Gibraltar theils auf englischen, theils auf portugiesischen Schiffen. Sehr bedeutend ist auch die Fischerei, namentlich der Fang der Sardinen, Stock- und Thunsische. Endlich ist die Serra reich an Metallen, besonders an Kupfer. Trotz dieses großen natürlichen Reichthums kümmert sich die

(p. 976) Vernachlässigung dieser Provinz von Seiten der Regierung.

Regierung so gut wie gar nicht um Algarbien. Unterrichtete Portugiesen haben mir versichert, daß bis vor wenigen Jahren das Finanzministerlum nicht die geringste Kenntniß von den statistischen Verhältnissen dieser Provinz besaß. Man kannte in Lissabon kaum die Bezirksstädte, von den Erzeugnissen, dem Handel, der Industrie Algarbiens wußte man so viel wie gar nichts. Erst seit dem Jahr 1841, wo der Algarbier Silva Lopes seine “Corografia do reyno do Algarve”, eine in topographischer und statistischer Hinsicht mit außerordentlichem Fleiß und großer Genauigkeit gearbeitete Schrift, der Regierung vorlegte, auf deren Kosten sie sodann gedruckt wurde, ist Algarbien einer größeren Berücksichtigung gewürdigt worden; noch aber kümmert sich die Regierung wenig um die Zustände des Volkes und thut nicht das Geringste, um diese abgelegene Provinz zu civilisiren. Dies könnte blos dadurch geschehen, daß man dieselbe mehr, als es jetzt der Fall ist, mit den übrigen Ländern Europas in Verbindung brächte. Bis fest kann man aber nicht einmal von einem Verkehr zwischen Algarbien und Lissabon sprechen, weil keine Fahrstraße zwischen beiden Punkten existirt, geschweige denn von einem Verkehr mit dem Auslande! Denn da diese Provinz weder eine große, durch schöne oder historisch denkwürdige Bauwerke oder durch Schätze der Kunst ausgezeichnete Stadt besitzt, welche die Fremden anlocken könnte, noch bedeutenden Handel oder Industrie, so kommen nur sehr wenig Ausländer, höchstens spanische und englische Seeleute nach Algarbiem Fremdes Seevolk trägt aber höchstens dazu bei, die Bevölkerungzu demoralisiren; einen bildenden Einfluß werden Matrosen niemals auf ihre Umgebungen ausüben.
Aus dieser völligen Isolirung von dem übrigem Europa erklärt sich zum Theil der Zustand geistiger Barbarei, in welchem sich das Volk von Algarbien befindet. Noch mehr aber als der

(p. 277) Barbarei der Algarbier. Ihre Physiognomie.

Mangel an Verkehr mit dem Auslande mag die geistige Begabung des Volkes an dieser Barbarei schuld sein. Jedere welcher den Süden von Europa bereist hat, wird mir zugeben, daß seine Bewohner bis auf den gemeinsten Bauer hinab einen bedeutenden Grad von Intelligenz besitzen, daß die Südländer-, was Schnelligkeit der Auffassung anlangt, sich weit vor den Bewohnern des Nordens auszeichnen. So ist es auch in Spanien. Hier besitzt selbst der ungebildetste Landmann , welcher weder lesen noch schreiben kann (mit Ausnahme jener durch die Natur vernachlässigten Provincen des Innern, wie die Mancha und Estremadura), eine außerordentliche Schärfe des Verstandes, die sich schon in seinen lebhaften Augen, in seinen geistig bewegten Gesichtszügen ausspricht. Nicht so der Algarbier! Dieser (ich spreche hier natürlich blos von den niedern Ständen) sieht entweder geradezu dumm aus oder pfiffig , aber nicht intelligent. Die Physiognomie des Algarbiers ist ganz eigenthümlich. Die spitze Nase, die vorstehenden Backenknochen, die schmalen Lippen, die kleinen, tiefliegenden, schwarzen, stechenden Augen verleihen seinem Gesicht einen überaus verschmitzten lauernden Ausdruck. Dabei sind die Algarbier ernst und wenig lebhaft, wenigstens im Vergleich zu ihren Nachbarn, den Andalusiern. Was ihren Körperbau anlangt, sind sie größer als jene und viel brünetter, fast noch brauner als die Valencianer. Man könnte sich ordentlich vor den Algarbiern fürchten, denn die Kerle sehen so verwildert aus wie Beduinen, besäßen sie nicht so viel Komisches, daß man unwillkürlich über sie lachen muß. Dieses komische Element liegt theils in ihrer körperlichen Haltung, theils in ihrem lächerlichem Hochmut und in ihrer servilen Höflichkeit, zwei Zügen, welche nicht blos dem Charakter der Algarbier eigen sind, sondern überhaupt zum portugiesischen Nationalcharakter zu gehören scheinen. Sie schreiten steif und gravitätisch einher,

(p. 278) Ihre komische Prahlerei.

bemühen sich, eine würdevolle imponirende Miene zu ziehen, sehen aber dabei plump und unbeholfen aus, woran ihre Tracht mehr schuld sein mag, als ihr Körperwuchs. Jn Prahlereien ergehen sie sich unter einander weniger als ihre Nachbarn, wohl aber entladet sich ihr ganzer Hochmuth gegen diese, doch blos in· ihrem eigenem Lande, denn in Spanien sind sie kleinlaut und schweigen am liebsten ganz. Kommt aber ein Andalusier herüber, so dauert es nicht lange und der Zank geht los. Die Andalusier machen sich einen Spaß daraus, unter unerhörten Fanfaronaden und unsinnigen Gebährden auf die Portugiesen zu schimpfen, sie zu verspotten und über sie und ihr Land zu reden, wie man in Deutschland von Krähwinkel oder Schöppenstädt spricht, auf die Gefahr hin, Prügel zu bekommen. Je mehr diese toben, desto steifer und gravitätischer werden die Portugiesen und desto verächtlicher blicken sie mit hochmüthigem Naserümpfen auf die beweglichen Andalusier, ihnen gelegentlich bemerkend, daß ein einziger “grimmig aussehender Portugiese” (hum portuguez bem finchado) genüge, um alle “Castelhanos” in der Welt auf und davon zu jagen. Eine solche leere Prahlerei erregt erst recht die Lach- und Spottlust der Andalusier, welche sich es nun zum Vergnügen machen, ihre steifen Gegner mit zehnmal größern Fanfaronaden zu Boden zu schmettern, denn im Prahlen kann es Niemand so leicht mit einem Andalusier aufnehmen. Diesem kommt es gar nicht darauf an, ganz ernsthaft, als wenn es eine ausgemachte Sache sei, zu sagen: “Wenn ich mein Messer ziehe, zittert die Erde” oder: “Wenn ich mit dem- Fuße stampfe, fallen die Sterne vom Himmel” u. dgl. m. Kurz, sie sehen den Portugiesen gewöhnlich so lange zu, bis diesen die Geduld reißt und sie ihren Gegnern ein “malditos cäes hespanhões!” (verfluchte spanische Hunde) in den Bart werfen. Nun geht die Balgerei los, denn diese Beschimpfung erträgt kein Spanier.

(p. 279) Ihre komische Prahlerei.

Häufig kommt es dann vor, daß ein einziger kleiner Andalusier wegen größerer Gewandheit mehrere große und ”grimmig blickende Portugiesen” auf den ersten Anlauf zu Boden streckt. Längs der spanischen Gränze und in den portugiesischen Hafenorten giebt es fast wöchentlich Händel zwischen den Spaniern und Portugiesen, die gar nicht selten einen sehr blutigen Ausgang nehmen. Außer diesem lächerlich hochmüthigem Wesen herrscht so manche Sitte unterden Portugieseu, über die man unwillkürlich lachen muß. So z. B. zählen die Portugiesen ihre Cavallerie nicht nach Pferden, wie alle übrigen Nationen zu thun pflegen, sondern nach “Pes de Cavallo”, d. h. Pferdefüssen, wahrscheinlich, damit es mehr klingen soll. Ferner soll es bei der Infanterie ein besonderes Commandowort geben (dies kann ich aber nicht verbürgem da ich es blos von Spaniern habe erzählen hdren), welches den Soldaten befiehlt, ein grimmiges Gesicht zu machen, wenn sie gegen den Feind marschiren, damit sich dieser sürchten mögel Desgleichen enthalten die Namen ihrer Kriegsschiffe u. dgl. häufig lächerliche Prahlereien. So sah ich selbst im Hafen von Lagos ein kleines Kriegsschiff, einen Falucho von drei Kanonen und kaum zwanzig Ellen Länge. Aber wie glauben wohl meine Leser, daß sich diese Nußschale nannte? - ”0 terror do mundo”, d. h. der Schrecken der Welt” - Und so ließen sich noch viele Beispiele von der komischen Prahlsucht der Portugiesen anführen. Ungeachtet dieser Eitelkeit und dieses Hochmuths herrscht unter den Portugiessen eine Höflichkeit, die an und für sich lobenswerth wäre, besäße sie nicht einen gar so servilen Charakter. Ich glaube kaum, daß es eine höflichere Nation giebt als die Portugiesen, allein ihre Höflichkeit ist so komisch und so kriechend, daß sie blos zum Lachen reizt und unwillkürlich Verachtung gegen das Volk einflößt. Jch weiß nicht, ob alle Portugiesen dieses kriechend höfliche Wesen
(p. 280) Ihre servile Höflichkeit.

an sich haben, die Algarbier aber sind in dieser Beziehung unausstehlich. Gleich den ersten Tag, welchen ich in Portugal zubrachte, fiel mir dieses servile Benehmen auf. Alle, die mir begegneten, zogen schon in einer Entfernung von mehrern Schritten den Hut tief ab, blieben an der Strasse stehen, verbeugten sich steif und beteten regelmäßig folgende lange Formel ab: “A déos amigo! Aos ordens de Vossensenoria! Voce mercé pase bem bom viage, viva meu senhor!” d. h.: ,,Adieu, mein Freund! Zu den Befehlen Ew. Herrlichkeiti Ew. Gnaden gehaben sich wohl, glückliche Reise, es lebe mein Herr!” - Ebenso kann man, spricht man mit einem Algarbier, darauf wetten, daß er bei jedem Wort, welches er erwiedert, den Hut abnimmt, und verabschiedet er sich, so vergißt er sicher nicht, die Worte hinzuzufügen: “sou o mais bumilcdo criado de Vossenhoria” d. h. “Ich bin Ew. Herrlichkeit niedrigster Diener” - Namentlich fällt diese kriechende Höflichkeit dem auf, welcher aus Spanien kommt und an das noble franke Benehmen der Spanier gewöhnt ist. Der Spanier ist auch höflich, sehr höflich, aber er ist kein Freund vom Hutabziehen und beträgt sich als freier unabhängiger Mensch, der Portugiese dagegen oder wenigstens der Algarbier stellt sich stets als den allerniedrigsten Diener dessen dar, mit dem er zu verkehren hat. Jch glaube, daß besonders diese Servilitat der Hauptgrund der Verachtung ist, welche der Spanier dem Portugiesen bezeugt, weil gerade dieser Zug dem spanischen Charakter schnurstracks entgegenläuft, und Lord Byron hat vollkommen Recht, wenn er dichtet:

“Denn jeder span’sche Knecht, stolz wie ein Lord,
Wenn er den lusitan’schen Sclaven sieht,
Der Niedern Niedrigsten, fühlt noch den Unterschied !”



(p. 281) Ihre servile Höflichkeit.  Die religiösen Verhältnisse Algarbiens.


Der unbeugsame trotzige Stolz des Spaniers kann ebenfalls lästig und unangenehm werden, er ist mir aber lieber als das geschmeidige kriechende Wesen des Portugiesen, denn jener Charakterzug verrät männlichen Muth und eine noble Gesinnung, dieser dagegen weibische Feigheit und eine gemeine Denkungsart! Ich will mir kein Urtheil über das Volk anmassen, denn ich habe zu kurze Zeit in seiner Mitte verweilt, aber ich fürchte, es lauert unter dem ehrerbietigen, einfchmeichelndem, knechtischem Wesen des Algaebiers ein heimtirckischeo Gemüth, das ihn fähig macht, denselben Mann, vor welchem er heute im Staube kriecht, morgen wegen einer geringfügigen Beleidigung hinterrücks zu erdolchen. Indessen besitzt der Algarbier auch manche lobenswerthe Eigenschaft. Er ist mittheilsam gegen den Fremden, gastfrei und dienstfertig, ohne habsüchtig zu sein. Ich kann mich kaum besinnen, jemals in Algarbien geprellt worben zu sein, wie mir dies in Andalusien oft genug passirt ist. Außerdem zeichnen sich die Algarbier durch Einfachheit der Lebensweise und besonders durch große Arbeitsamkeit vortheilhaft vor den Andalusiern aus. In religiöser Beziehung dagegen stehen sie diesen weit nach. Die Algarbier sind noch sehr bigott und glauben ihren Pfaffen mehr als allen Andern. Die Geistlichkeit weiß dies auch sehr wohl zu benutzen und bemüht sich, das Volk in Unwissenheit zu erhalten, wobei sie nicht unterläßt, für sein leibliches Wohl möglichst Sorge zu tragen. Ich habe Gelegenheit gehabt, gerade diese Verhältnisse ziemlich genau kennen zu lernen, indem ich von Cadiz aus an einen portugiesischen Geistlichen empfohlen war und dieser die Güte hatte, mich überall hin· an seine Amtesbrüder zu weisen, weshalb ich fast täglich mit Priestern umgegangen bin. Jch muß gestehen, daß ich außerordentlich durch die Intelligenz überrascht wurde, welche diesen Leuten fast durchgängig eigen war. Diese Wahrnehmung frappirte mich um so mehr, je größer die Unwissenheit und die Bigotterie ist, welche

(p. 282) Die algarbische-Geistlichkeit. Der Pfarrer von Loulé.

unter der spanischen Geistlichkeit herrscht. Portugal und Spanien zeigen hier seltsamerweise gerade die. entgegengesetzten Contraste. In Spanien ist das Volk aufgeklärt nnd der Clerus bigott, in  Portugal ever wenigstens in Algarbien der Clerus aufgeklärt und das Volk bigott.  Ich habe in Algarbien Priester getroffen, welche nicht bloss in allen Dingen wohl unterrichtet, sondern sowohl in politischer als religiöser Beziehung, vorzüglich aber in politischer liberal waren. Namentlich zeichnete sich der Pfarrer von Loulé, jener Geistliche, an den ich Empfehlungen von Spanien mitbrachte, in dieser Hinsicht aus. Rafael Pinto war weit und breit in der ganzen Umgegend wegen seiner gemeinnützigen Kenntnisse und seiner Wohlthätigkeit allgemein geachtet und geliebt. Jm Jahre 1833, wo er sich offen für das liberale Princip bekannt hatte (dasselbe hatte beinahe die gesammte algarbische Geistlichkeit gethan), war er durch die Horden Dom Miguels, welche damals sowohl in Loulé als in vielen andern Ortschaften Algarbiens die scheusslichsten Gräuelthaten verübten und auch seine eigne Mutter und Schwester ermordet hatten, genöthigt worden, sein Vaterland zu verlassen und sich nach Gibraltar zu flüchten, woselbst er sechs Jahre lang gelebt hatte. Deshalb sprach er sehr geläufig spanisch, ein Umstand, der mir es möglich machte, mich in jeder Hinsicht über die Zustände Algarbiens und des gesammten Portugal zu unterrichten. Sowohl dieser Priester als auch die Pfarrer von Alte, Silves und Monchique, an die er mich empfahl, empfingen mich, mit der größten Zuvorkommenheit und in Allen fand ich sehr gebildete Leute. Ich verweilte in Loulé drei Tage und habe fast den größtenTheil derselben in Gesellschaft des Pfarrers zugebracht. Ich speiste bei ihm, arbeitete in seinem Hause und besuchte mit ihm die interessantesten Puncte der Stadt und Umgegend. An seinem geschmeidigem, weltmännisch

(p. 283) Der Pfarrer von Loulé.

seinem Benehmen, an seinem etwas lauerndem Blick, an seinen umfassenden Kenntnissen in Politik, Geschichte, Naturwissenschaften, Kunst und Literatur nicht nur Portugals, sondern auch des Auslandes, glaubte ich den Jünger der Gesellschaft Jesu zn erkennen, doch kann es sein, daß ich mich getäuscht habe. Außerhalb der Kirche ließ er (und dasselbe habe sich bei allen portugiesischen Geistlichen gefunden, die ich kennen lernte, sowie zumTheil auch bei den spanischen) den Priester nicht merken. Sowohl in seinem Hause als unter dem Volke, unter das er sich gern zu mischen pflegte, war er Weltmann, heiter und gesellig und erlaubte sich auch wohl einen muntern Scherz mit hübschen Mädchen und Frauen, bei denen er sehr beliebt zu sein schien. Wenn er ausging oder ausritt, ohne auf Amtswegen begriffen zu sein, pflegte er wie jeder andere Bewohner Loulé’s das Nationaieostüm zu tragen. Er beschäftigte sich eifrig mit Agricultur, namentlich mit der Baumzucht, suchte überall Verbesserungen in dem Anbau des Landes einzuführen und hatte schon Manches für die Civilisation seiner Beichtkinder gethan. Er liebte die Mechanik und Physik außerordentlich und seinen Bemühungen war es gelungen , die Mühlen zu verbessern, die Blitzableiter einzuführen, das Bemässernngssystem durch Vervollkommnung der Wasseräder zu heben u.s.w. Kurz, überall sorgte er unablässig für den materiellen Wohlstand, die materielle Civilisation der Bevölkerung, die ihm auch deshalb blind ergeben war.- Ja selbst in «politischer Beziehung suchte er seine Untergebenen zu bilden, denn er hatte einen Leseverein gestiftet, welcher alle in Portugal erschemenden Zeitungen hielt, die ihm passend schienen, aber nicht in religiöser! Er sprach sich in dieser Hinsicht mit derselben Offenheit gegen mich aus, mit welcher er mich über die schlechte Verwaltung Portugals, über den zerrütteten Zustand der Finanzen, über die Käuflichkeit und Habsucht

(p. 284) Der Pfarrer von Loulé.

der Minister- nnd Behörden, über den absolutistischen Sinn der Königin , kurz über alle jene betrübenden Zustände bekehrte, welche eine Revolution in Aussicht stellten, dies denn auch nicht ausgeblieben ist, wozu ihn vielleicht der Umwand, daß ich Ptotestant war, besonders veranlassen mochte. Eines Morgens besuchte ich in seiner Gesellschaft ein reizend gelegenes Kirchlein unweit der Stadt, die Capella de Nossa Senhora da Piedade, woselbst sich ein wunderethätiges Marienbild befindet. Jeden Sonnabend wird daselbst Messe gelesen nnd es pflegt dann eine große Menge Volks aller Stände ans Loulé und der ganzen Umgegend hier zusammen zu strömen. Aus diesem Grunde hatte Pinto gerade diesen Tag gewählt, um mir jene Capelle zu zeigen. Ein bequemer breiter Weg führt aus dem mit Orangenplantagen erfüllten Thale des Rio Macai, an welchem Loulé liegt, im Zickzack auf den Gipfel des Hügels, wo sich die Capelle defindet, und ist mit den Stationen der Leidensgeschichte Christi besetzt. Neben dem Pfarrer am Geländer der Terrasse, welche die Kuppe des Berges einnimmt, stehend erblickte ich ein Schauspiel, das mich im höchstem Grade überraschte. Jn langen Zügen kamen festlich geschmückte Männer nnd Weiber herbei, geistliche Lieder singend wie Wallfahrende. Diese warfen sich nicht allein während des Hinaufsteigens zum Berge bei jeder Station nieder, um zu beten, sondern rutschten auch vom Thore der Terrasse auf den Knieen bis in die Kirche hinein. Ja ich sah sogar Frauen, welche vom Fusse des Berges an den ganzen Weg hinauf bis in die Kapelle auf ihren Knieen rutschten! So etwas hatte ich in Spanien niemals erblickt und ich konnte mich daher eines Ausrufes der Verwunderung nicht enthalten. Pinto, dem alle Vorüberrutschenden das Gewand küßten, bemerkte dies nnd wandte sich unbefangen mit folgenden Worten in spanischer Sprache an mich:
(p. 285) Der Pfarrer von Loulé.

“Sie wundern sich über die gläubige Demuth dieser Leute? - Ich finde das begreiflich,  da Sie aus Spanien kommen. Wie bei uns eigentlich zuviel Devotion ist, so ist dort zu wenig. Wollte jede der beiden Nationen der andern etwas abgeben, so würde der rechte Tonus in religiöser Beziehung herauskommen. Indessen,” - setzte er nach einer Pause wie feinem Lächeln hinzu, - ,,es ist besser, die Leute glauben zuviel als zu wenig, und es ist heilige Pflicht der Kirche und der Regierung, sie bei ihrem Glauben zu lassen. Der gemeine Mann ist nicht fähig, sich durch eigenes Nachdenken seine Religion selbst zu schaffen; es muß ihm etwas bereits Fertiges gegeben werden, an welches er sich halten, an dem er sich erbauen, wobei er sich ergötzen kann. Denn glauben Sie mir, der Portugiese und der Bewohner des Südens überhaupt will nicht blos eine Religion, in der er Trost und Beruhigung in allen Lagen des Lebens findet, er verlangt auch einen Cultus, welcher ihm die Allmacht Gottes, die versöhnende Liebe Christi, die tröstende Vermittlung der Jungfrau in sinnlichen Bildern vor das Auge führt und bei dessen Pracht er sich wie ein Kind an bunten Flittern amüsiren kann. Unsere Bauern glauben, erblicken sie das schön angezogene, von Kerzen umstrahlte Bild der Madonna, dass sie dieselbe in Person vor sich haben; sie glauben, rutschen sie den Berg hinauf, durch diese Selbstpeinigung ihren Zorn, den ihre Sünden erregt haben, brechen und sie bewegen zu können, von Neuem die Vermittlung mit Christo zu übernehmen; sie meinen, in den Augen des Bildes selbst die Gewährung oder Nichtgewährung ihrer Bitte lesen zu können, und befinden sich glücklich bei diesem Glauben: - wäre es also nicht himmelschreiendes Unrecht, ihren kindlich einfältigen Gemüthern diesen erhebenden und tröstenden Glauben, den ihnen die weise Kirche gelehrt hat, zur rauben? - Man suche das Volk politisch aufzuklären, man begeistere es für seine

(p. 286) Der Pfarrer von Loulé. Lebensweise der Algarbier.

Nationalltät, seine Freiheiten und Rechte, man verbessere sein Loos, indem man es zu civilisieren sucht; aber man rüttele nicht an der Kirche, an der Religion, wie es in Spanien geschehen ist und leider auch zum Theil in Portugal. Diese breiten wilden Gebirge”, und er zeigte auf die dunkeln Wellenkämme der benachbarten Serra - “haben bisher noch der zerstörenden Skepsis den Weg nach Algarbien versperrt; - wir wollen dafür sorgen, daß dies auch fernerhin so bleibe! Der zerrüttete Zustand eines Landes, - despotische Uebergriffe der Herrscher, Nichtachtung der heiligsten Rechte desi Volkes können eine politische Revolution nöthig machen und eine solche kann auch  eine wesentliche Verbesserung herbeiführen und einen segensreichen Einfluss auf das gesammte Volk ausüben; man lasse es aber bei der Politik bewenden und errege nicht zugleich eine religiöse Revolution. Die Regierung zerbricht das Ruder des Staatsschiffes, wenn sie die Kirche sinken läßt, und das Volk- wird unglücklich, wenn es das Zutrauen zur Kirche und ihren Dienern verliert, ja sie und die heiligsten Mysterien der Religion dem Spotte preisgiebt, wie es im Nachbarlande geschieht; denn,” -  fügte er mit einem seltsamen Blick auf mich hinzu, - "blos der Glaube, den unsere heilige Kirche lehrt, macht glücklich, der Zweifel unglücklich!” -
Die Lebensweise, Tracht und Sitten der Algarbier sind sehr verschieden von denen der Andalusier. Alte bis auf den gemeinsten Maulthiertreiber hinab trinken von früh bis Abends Thee, den sie “Cha” nennen, und essen Butterbrod dazu, zwei Dinge, die der gemeine Andalusier gänzlich vekschmäht. Da das Terrain nicht gestattet, hinreichend Weizen zu bauen, so essen sie Brod aus unter einander gemengtem Mais- und Gerstenmehl, welches dunkelfarbig, locker und sandig ist und trocken und kraftlos schmeckt. Sie lieben den Reis außerordentlich, scheinen aber

(p. 287) Volkstrachten.

kein besonderes Nationalgericht zu besitzen. Ihre Tracht, namentlich die der Frauen ist eigenthümlich, doch eben nicht schön, am allerwenigsten graziös zu nennen. Die Männer aus den gebildeten Ständen gehen wie in Spanien größtentheils nach französischer Sitte gekleidet; die aus dem Volke pflegen für’s Gewöhnliche lange, weite Beinkleider und weite, kurze, ganz schmucklose Jacken aus grobem braunem Tuch, eine kattunene Weste, Schnürstiefeln und einen großen schwarzen Filzhut zu tragen. Letzterer hat einen niebrigen abgerundeten Kopf, sehr breite, an den Rändern abwärts gekrümmte Krämpen und ist stets mit einem zollbreitem Bande von schwarzem Atlas und mit Quasten und messingenen  Zierrathen verziert. Des Sonntags legen sie eine Jacke aus feinem blauem Tuch mit blanken Messingknöpfen an, sowie eine scharlachrothe, mit kleinen goldnen Knöpfchen besetzte Weste, die sie weit hinauf zuknöpfen, ein rothseidenes Halstuch und eine reiche Schärpe. Alle, zum Theil selbst die Männer der höheren Stände, bedienen sich weiter Mäntel aus braunem Tuch, die gewöhnlich mit grünem oder blauem Wollenzeug gefüttert sind, einen kurzen faltenreichen Kragen, Aermel und eine Kapuze besitzen, welche letztere sie bei schlechtem Wetter über den Kopf ziehen. Die Frauen sind munterer als die Männer, hübsch gewachsen, aber nichtsschdnszu nennen. Sie· besitzen im Allgemeinem einen- weißerenTeint und eine frischere Gesichtsfarbe als die Andalusierinen, haben aber plampe Füße und breite, wenig markirte Gesichter Die Damen scheinen selten- auszugehen, wenigstens habe ich nur wenige in Faro, Loulé und Lagos gesehen. Diese kleiden sich ebenfalls französisch und tragen entweder den französischen Hut oder bedecken sich den Kopf blos mit einem feinen, weißem, mit Spitzen garnirten Taschentuch von dreieckiger Gestalt, das sie unter dem Kinn zusammenbinden, so daß der eine Zipfel frei nach hinten

(p. 288) Volkstrachten.

hinabhängt. (Die graziöse Mantilla verschwindet, sobald man den Guadiana überschreitet.) Die Frauen der mittleren Stände scheinen die grellen Farben außerordentlich zu lieben. Sie gehen in langen Kleidern aus buntem oder hellfarbigem Kattun und pflegen ein scharlachrothes wollenes Saluppentuch, welches am Rande mit einer handbreiten Kante schwarzer, hineingestickter Blumen verziert ist, um die Schultern zu schlagen. Den Kopf verhüllen sie sich ebenso mit einem Taschentuch von weisser oder gelber Farbe. Die seltsamste Tracht besitzen die “Campezinas” oder Bäuerinnen, unter denen man Übrigens die schönsten Gestalten findet. Diese tragen meist einen dunkelblauen rothgefütterten und unter einem handbreiten Streifen von schwarzem Sammet eingefassten Rock von Kattun, ein schwarzsammtness vorn offenes und ziemlich tief ausgeschnittenes Mieder mit kurzen Aermeln, ein buntes kattunenes Hals- und Kopftuch und über letzterem einen portugiesischen Männerhut. Außerdem schleppen sie stets eine Art Mantilla mit sich herum, die sie um die Schultern schlagen und deren verlängeete abgerundete Zipfel bis über die Kniee hinabhängen. Dieses Kleidungsstück besteht fast immer aus braunem Tuch und ist an seinen Rändern mit einem fingerbreiten Streifen grünen Sammets eingefaßt. An Sonn- und Festtagen binden sie ein schwarzseidenes Tuch um den Hals und die reichen Pächterinen schmücken sich mit Halsbändern, die aus aneinander gereihten Dukaten bestehen. Alle Frauen, selbst die der höheren Stände, tragen weite faltenreiche, dunkelfarbige Tuchmäntel mit langem Kragen und ohne Aermel, die ganz so gemacht sind wie die spanischen Männermäntel und welche sie auch häufig wie die Spanier über die Schulter werfen.
Ich habe-schon bemerkt, daß die Algarbier im Allgemeinen von stillerem Wesen sind als die Andalusier. Daher lieben sie

(p. 289) Algarbische Tänze und Spiele.

auch das Singen , Musiciren und Tanzen nicht so sehr wie jene. Doch sollen sie sehr hübsche Nationallieder und eigenthümliche Tänze besitzen. Namentlich wird ein Tanz, “O Maiquinéo” genannt, sehr gerühmt, welcher aus einem Chorreigen mit Solotouren besteht und zu dem besondere Lieder nach der Musik einer Guitarre und einer Flöte gesungen werden. Auch findet man mancherlei Nationalspiele bei ihnen. So habe ich in Faro häufig ein Spiel beobachtet, dessen Ausgabe ist, eine eiserne Kugel durch einen in den Boden gesteckten Ring von geringem Durchmesser zu jagen. Und zwar darf diese Kugel nicht wie bei unserm Kegelspiel geschoben, sondern muß durch einen Stockhieb in Bewegung gesetzt werden. Ein anderes sehr beliebtes Spiel, das aber blos von einer Gesellschaft gespielt werden kann, an der sowohl Männer als Frauen Theil nehmen, ist die “Palma”. Bei diesem Spiel nimmt man halb so viel Streifen eines zerschnittenen Zwergpalmenblattes, als Personen zugegen sind, und knickt einen jeden derselben in der Mitte ein, so daß er einen Winkel bildet. Diese zusammengeknickten Streifen nimmt nun eine Person in die Hand und ordnet sie, ohne daraus zu sehen, unter dem Tische zu einem Fächer. Sodann muß jedes der Anwesenden eins der hervostehenden Enden erfassen, worauf der Fächer fahren gelassen wird. Dasjenige Paar nun, welches ein und denselben Streifen erfaßt hat, muß sich umarmen und küssen. Ob in Algarbien auch Stiergefechte veranstaltet werden, weiß ich nicht. Ich kann mich nicht besinnen, irgendwo eine Plaza deToros gesehen zu haben. In Lissabon finden dergleichen statt, doch in ganz anderer Weise als in Spanien.
Beim schönstem Frühslingswetter verließ ich am Vormittage des 6. Februar Faro in Begleitung eines ,,Almocreve” oder Maulthiertreibers (unter “Arrieiro” versteht man in Portugal einen Fuhrmann), den ich gleich für die ganze Reise gemiethet

(p. 290) Abreise von Faro. Mein Almocreve. Die Stadt Loulé.

hatte, und gelangte nach dreistündiger Wanderung nach Loulé. Mein Almocreve, aus São Bras, einem tief im Gebirge gelegenem Dorfe, gebürtig, war ein gutmüthiger Kerl, aber entsetzlich dumm und verwildert. Er schien sehr arm zu sein, denn er besaß blos eine sehr schadhafte Hose und eine ebenfalls stark gestickte Jacke nebst einer verschossenen Schärpe. Weste, Strümpfe und Hemd schien er für überflüssig zu halten. Als ich mich über den Mangel des zuletzt genannten Kleidungsstückes verwunderte, meinte er, seine Frau wäre bei seiner Abreise von São Bras eben damit beschäftigt gewesen, es zu waschen, woraus ich schloß, daß er blos im Besitz eines einzigen war. Die Füße hatte er mit sehr zerrissenen Schnürstiefeln bekleidet und den Kopf, dessen Haare er sich das ganze Jahr hindurch nicht zu kämmen schien, mit einem Hute bedeckt, der ehemals schwarz gewesen sein mochte, im Laufe der Zeit aber eine weißliche Farbe angenommen hatte. Trotz seiner Dummheit und trotz dem, daß ich seine Art von Sprache eigentlich gar nicht verstand , war dieser Bediente in Lumpenlivree ganz brauchbar. Er kannte alle Wege und alle Kneipen in der ganzen Provinz, war immer fidel, besaß große Ausdauer und Genügsamkeit und forderte dabei einen sehr mäßigen Lohn. Sein Maulthier war zwar etwas faul, jedoch stark und zahm und so ging es denn ganz vortrefflich.
Loulé, eine alte, aber freundliche Stadt Von 8000 Einwohnern, ist einer der am reizendstem gelegenen Orte der pyrrenäischen Halbinsel, die ich kenne. Seine Umgebungen sind nicht großartig romantisch, aber ungemein anmuthig. Es liegt nämlich innerhalb des von Oel- und Johannisbrodbäumen bewaldeten Hügellandes des Barrocal, dessen bedeutendste Kuppen sich bis gegen 1000 Fuß erheben und zwischen dessen einzelnen Kämmen sich wasserreiche Thäler befinden, die von Mühlen, Quintas und Bauernhöfen wimmeln und gänzlich mit Feigen-, Mandelbaum- und besonders Orangeplantagen erfüllt sind.

(p. 291) Die Stadt Loulé.


Eine prachtvoll üppige Vegetation schlingt einen immergrünen Kranz um die alten aradischen Mauern der Stadt, deren Häuser sanft an der rechten Thalwand des Rio Macai emporsteigen, welcher Loulé auf der Ost- und Südseite despüit und ein hügelersülltes Becken von äußerster Fruchtbarkeit durchströmt. Dieses wird von vier hoher ansteigenden Bergkuppen umschlossen, unter denen sich namentlich die im Osten gelegene Cabeca da Camara auszeichnet, deren Gipfel eine prächtige Aussicht über das Meer, die Gegend von Faro und Villanova, das Becken von Loulé und die Serra darbieten. Die dunkeln Kämme der letztern gucken allenthalben zwischen den schöngeformten Hügeln hindurch, welche das Becken von Loulé im Norden begrenzen. Eine halbe Stunde südlich von der Stadt, jenseits des Macai, liegt die schon erwähnte Capelle von Nossa Senhora da Piedade, von wo aus sich Loulé am schönstem ausnimmt. Zwischen ihrem Kegelberge und der Cabeça da Camara schaut man von den Häusern der Stadt aus auf eine weite grüne Ebene hinaus, über welcher der azurne Spiegel des Oceans hoch in den Himmel emporragt. In dieser prächtig gelegenen Stadt miethete ich mich in einer recht guten, nur schmutzigen Estalagem ein, dem Eigenthum eines Schwesternpaares, zweier hübscher junger Mädchen, die sehr lustig waren und namentlich gern “Palma” spielten. Mein Zimmer hatte eine herrliche Lage. Es befand sich im Innern eines alten maurischen, von Epheu fast ganz übersponnenen Thurmes, der einen Theil des Hauses ausmachte, und gestattete mir eine wonnige Aussicht über das fruchtbare Thal des Macai, die schöngeformte Cabeça da Camara, die Capelle der Jungfrau und das Meer. Loulé besitzt keine großen Sehenswürdigkeiten. Unter seinen öffentlichen Gebäuden mag das in gothischem Style erbaute Augustinerkloster das schönste gewesen

(p. 292) Industrie der Frauen von Loulé. Das Dorf Alte.

sein. Dieses liegt bereits seit 1755 theilweis in Ruinen, in welchem Jahre es durch das Erdbeben von Lissabon, das anch in Algarbien, vorzüglich an der Seeküste furchtbare Verheerungen anrichtete, zerstört wurde. Die Frauen von Loulé sowie des ganzen Barrocale beschäftigen sich mit einem eigenthümlichem Industriezweige. Sie flechten nämlich allerhand Matten, Decken, Korbe, Geräthschaften, ja selbst allerliebste Blumen und Zierrathen ans den Fächerblättern der in Algardien äußerst gemeinen Zwergpalme Chamaerops humilis L.), welche sie zu diesem Behufe in dünne Streifen zerschneiden und an der Sonne bleichen. In Andalusien, wo dieses Gewächs ebenfalls sehr häusig vorkommt, bedient man sich seiner Blätter gewöhnlich blos zur Verfertignng Von Besen. 
      Von Loulé begab ich mich nach Alte, einem kleinem, bereits am Saume der Serra in einem kesselförmigen Thale gelegenem Dörfchen, in dessen Nähe sich reiche Kupferminen befinden. Ein Bach, welcher größtentheils aus einem wasserreichen Nacimiento nahe beim Dorfe entspringt, bildet, über eine abschüssige, von Felszacken starrende Fläche hinwegschießenlh einen prächtigen Wasserfall am Eingange der steil ansteigenden und furchtbar schmutzigen Gassen und eine schmale hohe Brücke ist gerade über diesen Wasserfall, an dessen von Schlingpflanzen üppig umrankten Feldrändern mehrere Mühlen liegen, hinweggespannt, weshalb das sonst elende Dörfchen von dieser Seite einen ungemein malerischen Anblick gewährt. Ein Stück unterhalb der Brücke sammelt sich der Bach wieder in ein tiefes, von hohen Felswänden umschlossenes Becken, aus welchem er in einem einzigem breitem Strahl mehrere Klaftern hoch in eine von durchhdhlten Kalksinterfelsen gebildete Kluft hinabstürzt und sich dann ruhig durch anmuthig grüne Thalgründe weiterschlängelt. Pinto hatte mir Empfehlungsbriefe sowohl an den Pfarrer

(p. 293) Die Kupferminen von Alte.

von Alte als an den Director des Bergwerkes mitgegeben. Letzterer, ein ehemaliger französischer Geniemajor, der lange Zeit in Algier und Brasilien gelebt hatte, nahm mich sehr gastftei in sein Haus. Ich hatte nichts dagegen einzuwenden, denn die Estalagem glich eher einem Schweinestalle als einer menschlichen Wohnung. Zwar konnte man das Haus des Franzosen auch keinen Palast nennen, denn es war eigentlich nichts als ein durch Queerwände in mehrere Abtheilungen geschiedener Schuppen, dessen Fußboden blos aus festgestampstem Erdreich bestand; indessen herrschte hier wenigstens Reinlichkeit. Auch führte der Major, ein sehr geselliger und gebildeter Mann, eine ausgezeichnete, ächt französische Küche, die ich in diesem Bergneste zu finden nicht erwartet hätte. Gleich nach meiner Ankunft geleitete mich mein gütiger Wirth nach dem Bergwerke. Dieses liegt eine halbe Legua südwestlich von Alte, besitzt noch keine große Tiefe, indem es erst seit wenigen Jahren existirt, nnd enthält einen sehr mächtigen Erzgang, in welchem sich große Massen gediegenen Kupfers vorfinden. Die Gesellschaft, die dieses Bergwerk exploitirt, bis jeht blos aus vier lissaboner Kaufleuten bestehend, hat von der Regierung Concession auf 44 Quadratleguas erhalten. Bei dem großem Reichthume des Erzganges, den man schon an verschiedenen Puncten der Umgegend aufgegeben hat, und bei der Leichtigkeit, mit welcher das allerdings reichlich vorhandene Wasser aus den Gruben abgeleitet werden kann, verspricht dies Bergwerk sowohl seinen Eigenthümern als dem Dorfe Alte eine glückliche Zukunft. Die Bewohner dieses Orts sind außerordentlich arm und leben meist blos vom Kohlenbrennen, Bergbau und dem Sammeln und Verarbeiten des dort herum häufig wachsenden Espartos. Mit letzterem Geschäft geben sich namentlich die Weiber und Mädchen ab, die sehr arbeitsam zu sein scheinen. Wenigstens sah ich viele von früh bis

(p. 294) Das portugiesische Carneval. São Bartholoméu.

Abends am Bache oder vor der Thüre der Häuser stehen, beschäftigt, mit hölzernen Schlägeln das in Wasser eingetauchte Espartostroh weich zu klopfen, was keine leichte Arbeit ist. Die Bewohner von Alte sind ein munteres lebensfrohes Völkchen, doch wäre es möglich, daß sieblos damals des beginnenden Carnevals halber so fröhlich waren. Das Carneval dauert nämlich in Portugal volle vierzehn Tage und besteht wie überall im Süden in Maskenscherzen, kindischen Neckereien und unsinnigem Lärmen. Dabei ist, wenigstens in Algarbien, die etwas ungezogene Sitte üblich, die Mädchen und Frauen mit Eiern zu werfen, diese dagegen suchen sich dadurch zu rächen, daß sie den Männern lange Zöpfe aus Hanf anstecken, sie mit Mehl überschütten und ihnen, wenn es möglich ist, das Gesicht schwärzen. Dieses Necken nennt man ,,Brincar” und die Personen, welche sich darauf einlassen, “Brincadores” und “Brincadeiras”.
Am 12. Februar setzte ich meine Reise weiter gen Westen fort in der Absicht, die Serra de Monchique, den höchsten Theil des algarbischen Scheidegebirges, zu besuchen. Bald hinter Alte erblickt man dieses düstere, in Form zweier hoher breiter Kuppen emporsteigende Granitgebirge bei Ueberschreitung der dicht bebuschten Wellenkämme, welche Alte von dem weitem kesselförmigen Thale scheiden, wo der Flecken São Bartholoméu dos Messines liegt. Hier ward mir ein seltsames Schauspiel. Es wurde nämlich gerade ein Gestorbener bestattet und ich begegnete dem Zuge auf dem Platze des Fleckens. Plötzlich mochten die Träger des Sarges, welcher offen stand und in dem die Leiche blos in ein Leinwandtuch gehüllt lag *), Durst

*)  Auch in Spanien pflegt man die Leichen blos in ein weißes Leinentuch zu hüllen und sie ebenfalls in offenem Sarge nach dem Friedhofe zu tragen.

(p. 295) Ein Leichenbegängniss. Die Stadt Silves.

bekommen, sezten die Bahre mitten auf den Markt, ließen den singenden und betenden Clerus laufen, wohin er wollte, und traten in die benachbarte Estalagem, um ein Glas Wein zu trinken und eine Cigarre zu rauchen! - Ueber einen kahlen Kamm, von dessen Höhe man das Meer erblickt, gelangten wir in ein äußerst fruchtbares, schön bebautes und reich bevölkertes Thal, das von einem breitem Flusse durchströmt wird. Hier liegt die uralte Stadt Silves, die von dem Sturze des Kalifats von Cordoba an bis um die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts, wo sie durch König Sancho ll. von Portugal erobert ward, die Residenz der Emirs oder Könige von Algarbien war. Noch mahnen die mächtigen geschwärzten Mauern und Thürme eines großen Castells, welches den Gipfel eines am rechtem Ufer gelegenen Hügels einnimmt, und die finstern Thore an jene Zeit. Innerhalb dieses Castells, dessen verwitterte Mauern reizende Blicke in das liebliche orangenerfüllte Thal gestatten, befindet sich die alterthümliche, in gothischem Style erbaute Hauptkirche der Stadt. Der größere, ebenfalls von alten thurmgekrönten Mauern umgebene Theil der Stadt zieht sich von dem Flußufer an den Abhange des Castellberges hinauf. Eine lange schöngebaute Steinbrüicke führt über den Fluß, welcher eine Strecke weiter unten für kleine Fahrzeuge schiffbar wird, in die Stadt hinüber, die wegen ihres vielthürmigen Castells an Niebla erinnert. Hier fand ich zu meiner Freude eine Estalagem, deren Besitzer ein Spanier war. Auch das Dienstpersonal war spanisch, denn der Wirth zog es vor, lieber höhern Lohn zu geben, als Portugiesen in Dienst zu nehmen, indem diese, wie er sich gegen mich auszudrücken beliebte, sämmtlich «heimtückische Hunde« seien. Es waren noch mehrere Spanier zugegen, Seeleute, deren Schiffe in dem benachbartem Hafen von Villanova lagen. Alle verkehrten offen mit mir, sobald sie hörten, daß ich lange

(p. 296) Eintritt in das algarbische Gebirge.

in Spanien gewesen sei und mir die portugiesische Nation nicht recht gefallen wolle. Aus ihren Gesprächen wurde mir erst recht klar, welch ein glühender Haß zwischen den Spaniern und Portugiesen herrscht. Ich glaube, diese beiden Nationen mordeten sich mit Wollust, könnten sie einmal ungehindert über einander herfallen! -
Den folgenden Tag vertiefte ich mich von Neuem in die dunkeln Wellenberge der Serra, die hier ganz und gar den Charakter der Sierra Morena tragen. Schon von fern schimmerten diese in rosigen, gelben und weißen Farben, indem verschiedene hier sehr häufig vorkommende Ericenarten, stachlige Ginster und andere buntblühende Sträucher eben in Voller Blüthe standen *). Auch die Niederungen und grasigen Abhange boten einen sehr bunten Anblick dar. Kleine ein- und mehrblüthige Narzissen von gelber Farbe, blaue wohlriechende Hyacinthenarten, niedliche, weiße, rothgeaderte, crocusartige Lilien, violette Linarien, weiße Maaslieb u. s. w. wuchsen hier in Menge **) und verliehen dem Gebirge das Ansehen eines Blumengartens. Bald stieg die Serra de Monchique hinter diesen bunten Buschkämmen empor und nachdem wir-die letze, durch das durchbrechende Urgebirge hoch emporgehobene Welle der Thonschieferformation erklommen hatten, stand das majestätische Gebirge in seiner ganzen Ausdehnung vor uns. Die Serra de Monchique be-

*) Erica Lusitanica Hoffmsgg. (weiß). E. umbellata L. und E. australis L. (roth). Genista aspalathoides Dec. und Ulex Baeticus Boiss. (gelb).

**) Narcissus Bulbocodium L. N. juncifolius Lag. Scilla odorata Brot. Sc. monophylla Lk. Muscari racemosum Mill. Romulea ramiflora Ten. Linaria amethystea Hoffmsgg. Bellis annua L. Bellium papulosum Kze.


(p. 297) Ansicht der Serra de Monchique. Das Städtchen Monchique.

steht blos aus zwei breiten Klippen von gewaltigem Umfange, die durch ein tief einfchneidendes, von einem muntern Bache durchrauschtes Thal von einander geschieden sind. Die westliche sanftgerundete Kuppe, welche sich am höchstem erhebt, heißt die Foïa, die östliche, eine breite stumpfe Pyramide darstellende die Picota. Der unterste Theil der Serra ist von Korkeichen bewaldet; auf diesen folgen große Castanienmälder, die sich bis zur halben Höhe entporziehen. Die obere Hälfte ist kahl, theils mit Gerölle, theis mit Bergwiesen bedeckt. Durch prächtige Gehölze alter Korkeichen, die mit Gemüsegärten und Obstplantagen abwechseln, steigt man allmälig durch das herrliche Thal, in dessen grünem Schosse zahlreiche Mühlen liegen, nach dem Städtchen Monchique empor, welches am steilen Südostabhange der Foïa in einer Höhe von ungefähr 2000 Fuß über dem Meer höchst romantisch gelegen ist. Die dichten Castanienwölder, die alle Abhänge bedecken, verhindern die Ansicht dieses Ortes, bis man sich ihm gegenüber am Rande einer von Orangen erfüllten Schlucht befindet, durch welche ein von der Foïa herabkommender Bach braust. Ueber den höchsten Gassen der Stadt hängt noch ein Kloster gleich einem Schwalbennest auf steilem Granitfelsen und darüber erheben sich die hohen grauen Kuppen der ernsten Foïa. Auf der entgegengesetzten Seite zeigt sich der breite nnd lange, mit einzelnen Gehöften und Hütten übersäte Abhang der Picota und dazwischen blickt man hinaus auf die düstern Wellenberge von Alem-Tejo. Diese wildromantische Lage ist aber auch Alles, womit Monchiqne prunken kann. Die Stadt selbst ist sehr schlecht gebaut, äußerst schmutzig und besitzt außer ihrer alten, aus drei gothischen Schiffen bestehenden Hauptkirche kein einziges bemerkenswerthes Gebäude. Die Estalagem war eine Höhle voll Schmutzes und Ungeziefers, die schlechteste, die ich in ganz Algarbien angetroffen habe, ein würdiges Seiten-
(p.298) Besteigung der Foïa.

stück zu Santa Eufemia. Die Bewohner, die sich zum großem Theil mit dem Tischlerhandwerk und andern Holzarbeiten beschäftigen (man bedient sich hier allgemein der Castainien als Bauholz) sehen düster, mißtrauisch und verwildert aus, ungefähr wie die Eingeborenen der Sierra Morena.
Der Pfarrer von Loulé hatte mich auch hier an die Geistlichkeit und mehrere andere Personen von Stande empfohlen, bei denen ich die freundlichste Aufnahme fand. Das Thetrinken wollte gar kein Ende nehmen, denn wenn man einen Portugiesen besucht, so kann man darauf rechnen, daß binnen fünf Minuten eine große Kanne mit “Cha” auf dem Tische steht. In Begleitung eines Advocaten und eines Kaufmannes machte ich den folgenden Morgen einen Ausflug nach der Foïa, bis auf deren Gipfel man bequem reiten kann. Dieser Berg erreicht nach portugiesischen Messungen eine Höhe von 3830 Fuß, ist von vielen Schluchten durchfurcht, deren Bäche bis hoch hinauf von üppigen Büschen ver orientalischen Alpenrose (Rhododendron ponticum L.), die bereits zu blühen begann, eingefaßt sind, und besteht größtentheils wie die ganze Serra ans einem hellfarbigem Granit. Nur an ihrer Nordseite bricht an mehrern Stellen ein basaltisches Gestein durch den Granit nnd setzt gewaltige Felsenpartieen zusammen, zwischen denen sich ein wasserreicher Bach, der an einer Stelle einen zwar kleinen, aber prächtigen Wasserfall bildet, hindurchbrängt. In seiner Schlucht steigt der Saumpfad bis zum höchstem Gipfel empor, woselbst such eine aus Steinen errichtete Pyramide befindet. Die Aussicht, welche sich von diesem höchstem Punkte Südportugals nach allen Seiten hin eröffnet, muß bei ganz hellem Wetter prachtvoll sein; damals waren die nördlichen und östlichen Horizonte etwas getrübt. Dennoch konnte man mit dem Fernrohr die Umrisse der Serra da Arrábida an der Mündung des Tejo erkennen sowie die

(p. 299) Aussicht von ihrem Gipfel.

Thürme von Beja in Alem-Tejo. Diese Provinz , welche ihren Namen davon hat, weil sie von Lissabon aus jenseits des Tejo (alem do Tejo) liegt, überblickt man von der Foïa fast ganz und gar. Ein großer Theil derselben wird Von den Wellenbergen des algarbischen Scheidegebirges eingenommen, der Rest ist flach oder hügelig, ein fruchtbares Ackerland. Nach Osten zu war die Aussicht am undeutlichstem, desto prachtvoller aus der entgegengesetzten Seite und gen Süden. Auch hier überschaut man zunächst die grünen Kämme der Thonschieferformation, aus denen die Serra de Monchique wie eine Feiseninsel aus einem sturmerregtem Meere hervorragt. Dieses Wellengebirge verflacht sich einige Leguas weiter nach Südwesten zu und geht in die Sandsteinformation über, weiche die schroffen Klippen des Cabo de São Vicente zusammensetzt. Diese südwestlichste Spitze Europas springt in Gestalt einer langen schmalen Landzunge weit in den Ocean vor und ist rings von senkrechten Sandsteinwänden von beträchtlicher Höhe umgeben. Auf dem äußerstem Vorsprunge steht ein Kloster. Die See brandet hier fast fortwährend furchtbar; durch das Fernrohr konnte man deutlich erkennen, daß der Schaum der Brandung, welche einen silberweißm Gürtel um die rotbgelben Klippen schlang, häufig bis an den obern Rand des Caps emporspritzte. Als wenn man auf die Landkarte blickte, liegt der füdwestliche Zipfel von Portugal vor den Augen, von der Bucht von Albufeira im Südosten bis an die Serra da Arrábida im Norden, fast auf allen Punkten umgürtet Von steilen zerrissenen Sandsteinfelsen. Endlos breitet sich nach drei Seiten hin der atlantische Ocean aus, dessen blaue Fläche eben eine Menge in verschiedenen Richtungen steuernder Schiffe durchfurchte.
Denselben Nachmittag ritt ich, blos von meinem Almocreve begleitet, nach dem benachbartem Bade as Caldas de Monchique.


(p. 300) Das Bad as Caldas de Monchique.

Dieses liegt in einer engen wilden Schlucht am Süddhange der Picota in einem prachtvollem Haine der üppigsten Orangenbäume. Die Aeste der letzteren waren allenthalden gestützt, damit sie nicht brechen möchten-, und der ganze Boden von abgefallenen, zum Theil schon halb verfaulten Apfelsinen bedeckt-, denn Niemand nimmt sich hier die Mühe, die goldenen Früchte aufzulesen, wenn-sie überreif herabfallen. Ein reißender Bach üböt grandiose, bizarr durch einander gewürfelte Granitblöcke tobend, durchströmt diesen Orangenhain. Auf seinem rechtem Ufer befindet sich das große Badegedöude mit den Mineralquellen. Gewöhnt an die erbärmliche Beschaffenheit der meisten andalusischen Bäder überraschte mich die zweckmäßige und ziemlich bequeme Einrichtung dieses Bades. Das Badehaus, welches schon aus dem Jahr 1692 herrührt, wie eine Inschrift über dem Eingange besagt, enthält eine Menge Von Wohnstübchen für die Gäste, eine Capelle, eine Trinkhalle und zwei Badebassins, eins fürs die Männer und ein anderes für die Frauen, in den Souterrains, zu welchen man auf neun langen Treppen hinabsteigt. Das Wasser ist geschmack- und farblos, entwickelt aber bedeutend viel Schwefelwasserstoffgas und besitzt eine Temperatur Von einigen 30ºR. Es soll sehr heilkräftig sein, weshalb as Caldas im Sommer sehr stark besucht sind. Ausser dem Badehause giebt es noch eine Anzahl freundlicher Privathäuser auf dem entgegengesetztem Ufer sowie eine gute Estalagem; von Promenaden u. dgl. habe ich aber auch hier keine Spur vemerkt.
Die Serra de Monchique ist ein sehr kaltes Gebirge und zeigte deshalb eine noch sehr wenig entwickelte Vegetation. Ich reiste daher schon den 15. Februar wieder ab und gelangte, das Thonschiefergebirge nochmals kreuzend, um 2 Uhr Nachmittags nach der Stadt Lagos, die an der Küste unweit der eine riesige,

(p. 301) Die Festung Lagos.

weit ins Meer hinausragende, malerisch zerklüftete Felsenmauer darstellende Punta da Piedade erbaut ist und für eine Festung gilt, obwohl sie größtentheils blos schlechte alte Mauern besitzt. Aus diesem Grunde wollte mich die Wache nicht einlassen, und da ich darauf bestand, innerhalb der Mauern und nicht draußen in den schlechten höhlenartigen Wirthshäusern der Vorstadt zu übernachten; so ward ich durch eine Ordonnanz mit Ober- und Untergewehr zum Gouverneur geschickt, um mir die Erlaubniß, in der Festung bleiben zu dürfen, einzuholen. Der Commandant war nicht zu Hause und seine Frau, die keine Lust zu haben schien, sich in die Geschäfte ihres Gemahls zu mischen, wies mich an den ,,Administrador da Poliça” (Policeichef). Leider wußte der mitgegebene Soldat nicht, wo dieser wohnte und so liefen wir über eine halbe Stunde in der Stadt umher. Als ich ihn endlich fand, legte er das Gesicht in sehr bedenkliche Falten und examinirte mich in einer höchst komischen Weise über den Zweck meiner Reise in Algarbien , über meine Herkunft und meinen früheren Aufenthalt, über Spanien und was weiß ich Alles, bevor er geruhte, meinen Paß zu visiren und mir den Aufenthalt in der großen Festung Lagos zu gestatten. Diese ist blos nach der Seeseite zu durch einige hohe Wälle gut vertheidigt, die sogenannte Citadelle im Süden der Stadt ist nicht einen Heller werth, denn sie wird auf drei Seiten von den benachbarten Höhen beherrscht. Lagos ist eine leidlich gebaute Stadt von 5000 Einwohnern. Seine ziemlich weite, rings von malerischen Sandsteinwänden umschlossene Bucht, die durch die Mündung eines zuletzt schiffbaren Küstenflusses gebildet wird, über den eine lange Brücke von neun Bogen führt, würde ein guter Hafen sein; wäre sie nicht von Untiefen erfüllt.
Die geringe Vegetation der Küste, einfallendes Regenwetter und Mange! an Zeit und Geld bestimmten mich, den beabsich-


(p. 302) Die Städte Villanova und Albufeira.

tigten Besuch des noch eine Tagereise entfernten Caps S. Vicente aufzugeben und die Küste entlang reisend nach Faro zurückzugehen. Mit Ausnahme der Ufer im Hintergrunde der durch die Mündung der Küstenflüsse gebildeten Buchten, welche aus Flugsand bestehen, ist diese ganze Küste von steilen Sandsteinfelsen eingefaßt und bietet daher einen sehr malerischen Anblick dar. Die interessantesten Punkte dieses sehr fruchtbaren und schön angebauten Landstriches sind die beiden kleinen Städte Villanova de Portimão und Albufeira. Erstere liegt am westlichem Uferrande eines sich weit landeinwärts erstreckenden Seearms, die Fortschung des Flusses von Silves ,, in einer höchst anmuthigen Gegend. Gleich unterhalb der Stadt erweitert sich jener Seearm zu einem breitem Becken, das durch einen ziemlich engen Canal mit dem Meere kommunizirt. Dieser Canal wird durch zwei felsige Hügel gebildet, deren jeder ein Fort auf seinem Scheitel trägt. Villanova schief gegenüber, nahe bei dem östlichem Fort liegt der Flecken Faragudo (?Ferragudo) malerisch am Abhange des Ufers; weiter aufwärts schimmerndie weißen Häuser des Dorfes Mejilhoneira (?Mexilhoeira) aus Feigen- und Orangeplantagen hervor; einzelne Gehöfte und Fruchthaine bedecken weit und breit die hügelige Gegend und darüber steigt im Norden das imposante, blos vier Leguas entfernte Hochgebirg von Monchique empor. Villanova gilt für den besten Hafen Algarbieus und ist der Hauptexportationsplatz für die Feigen und Orangen. Albufeira, wo ich übernachtete, ist hart am Rande seiner Felsenbucht erbaut; ja die äußerste Häuserreihe schwebt theilweis über dem Meer, indem die hier furchtbar tobende Brandung den Felsenrand unterwaschen hat. Die Stadt ist entsetzlich schmutzig und liegt sehr uneben zwischen zwei Hügelm von denen der östliche durch ein größtentheils ruinirtes Casteil vertheidigt wird. In diese Burg flüchteten sich am 27. Juli 1833, wo Albufeira

(p. 303) Rückkehr nach Ayamonte. Nochmaliger Ritt nach Faro.

von den Miguelisten überfallen ward, eine große Menge der Einwohner, wurden aber nach kurzer Vertheidigung gezwungen, zu capituliren. Sie hatten sich blos Sicherheit der Person und des Lebens ausbedungen; die Miguelisten hielten aber auch dieses Versprechen nicht, sondern ermordeten nach der Uebergabe des Castells 74 Personen von jedem Alter und Geschlecht. Zwischen Albufeira und Faro führt der Weg durch einen prachtvollen dichten Wald alter Pinien so schön, schlank nnd groß , wie ich sie in keiner andern Gegend gesehen habe.
Ohne mich in Faro länger als eine Nacht aufzuhalten, setzte ich unter fortwährendem Regenwetter meine Reise weiter fort und erblickte am Abend des 18. Februar den Guadiana und Ayamonte wieder, wohin ich mich unverzüglich übersetzen liess, da ich den portugiesischen Estalagems im höchstem Grade überdrüssig war. Den folgenden Morgen begab ich mich wieder nach Villareal, um mir meinen Paß zu holen, vernahm aber zu meinem nicht geringste Schrecken, daß sich derselbe in Faro be- finde. Bei der Unzuverlässigkeit der portugiesischm Behörden end Posten entschloß ich mich rasch, selbst nach Faro zu gehen, miethete ein Pferd und kam nach scharfem Ritt halb 8 Uhr abends zum drittem Mal in die Hauptstadt Algarbiens. Hier fand sich nun auch mein Paß auf dem Governo civil, allein man wollte mir denselben nicht herausgeben. Der Beamte, mit dem ich zu verkehren hatte, war zwar ungemein höflich, meinte aber, Pässe von Ausländern würden als Garantie für deren Person zunächst an die Districtsstadt und später nach Lissabon geschickt, wo sie für immer blieben; nur aus einem Versehen befände sich der meinige noch in Faro. Wäre der portugiesische Interimspaß abgelaufen und wolle der Reisende Portugal wieder verlassen, so bekäme er einen portugiesischen Paß ins Ausland. Ein solcher sollte nicht weniger ais zwei Piaster kosten und ich

(p. 304) - Geldgier der portugiesischen Behörde.

merkte bald, daß die ganze Sache blos auf eine Prellerei abgesehen sei. Ich erklärte daher dem Beamten entschieden, ich möge keinen portugiesischen Paß haben, da mir derselbe bei der Rückkehr in mein Vaterland von keinerlei Nuhen sein, mich im Gegentheil ins Verlegenheit bringen künne; wolle man mir meinen Nutionalpaß nicht herausgeben, so würde ich mich unverweilt an meine Gesandtschaft in Lissabon wenden. Der Portugiese mochte bei aller Schlauheit doch nicht wissen, daß in Lissabon eine sächsische Gesandtschaft gar nicht existirt, und ward daher verlegen. Er ging nochmals weg, um, wie er sagte, den Präsident um seine Meinung zu befragen, kam aber sehr bald zurück und brachte mir meinen Paß, mir bemerkend, er wolle sich einmal aus purer Gefälligbeit eine Pflichtverletzung zu Schulden kommen lassen! Nur, meinte er, könne er ihn nicht visiren. Wahrscheinlich hatte der Mann gedacht, mir damit einen Possen zu spielen. Allein der in Faro residierende spanische Consul, ein geborener Spanier, stand nicht einen Augenblick an, meinen Pass nach Spanien zu visirem und nun konnte es mir sehr gleichgültig sein, ob die portugiesische Behörde ihr Visa darauf gesetzt hatte oder nicht. Der spanische Consul lachte, als ich ihm die Geschichte erzählte und lobte mich, dass ich so standhaft geblieben sei. Denn das, meinte er, sei blos ein Manoeuvre, das sich die portugiesischen Behörden mit unerfahrenen Fremden erlaubten, um Geld zu schlucken. Von Rechtswegen müßten sie dem Ausländer seinen Paß zurückgeben, sobald er das Land verlasse.
Dieses Intermezzo war mir sehr fatal, denn obwohl ich noch denselben Tag nach Villareal zukückritt und den folgenden Morgen nach Ayamonte kam, hatte unterdessen doch bereits das Schiff, mit welchem ich hatte nach Cadiz fahren wollen, die Anker gelichtet. Schlechtes Wetter, widriger Wind, Mangel an


(p. 305) Letzter Aufenthalt in Ayamonte. Rückreise nach Cadiz.


Schiffen und pecuniäre Verlegenheit hielten mich bis zum 8. März in Ayamonte zurück. An diesem Tage ging ich zu Land nach Aljaraque, kam dort aber erst an, als das Boot, welches täglich einmal nach Huelva zu gehen pflegt, bereits fort war, und mußte daher in diesem elendem Neste übernachten. Den folgenden Morgen benutzte ich den Kahn der ,,Lecheros” (Milchverkäufer), um nach Huelva überzufahren. Beiläufig will ich bemerken , daß diese Leute, welche Huelva täglich mit Milch versorgen, diese in Schläuchen von Ziegenfellen transportiren, eine Sitte, welche blos um Huelva üblich zu sein scheint, doch nicht eben viel Appetit zum Genuß der Milch erregt. Glücklicher Weise traf ich in Huelva einen mit Orangen beladenen Falucho, welcher nach Cadlz bestimmt war. Dieser ging gegens Uhr Nachmittags unter Segel und ankerte nach glücklicher und angenehmer Fahrt bei mondheller Nacht um 12 Uhr vor den Wällen von Cadiz. Mit Jubel begrüßte ich am Morgen (dmn die Nacht hindurch mußte ich auf dem Schiffe bleiben, da die Thore nicht eher als früh um 6 Uhr geöffnet werden) die reinlichen Strassen der prächtigen Stadt; meine Freude wurde aber etwas herabgestimmt ais ich hier einen Brief aus der Heimath vorfand, welcher mich nach Deutschland zurückrief. Das Ordnen, Verpacken und Absenden der auf der portugiesischen Reise gemachten Sammlungen beschäftigte mich noch über eine Woche, ais aber dies besorgt war, rüstete ich mich, mit dem nächsten Dampfschiffe, welches gen Osten segeln würde, den poetischen Gestaden Andalusiens auf immer Lebewohl zu sagen!

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