Eine Botanisch-Zoologische Rundreise auf der Iberischen Halbinsel.
Auf der Suche nach der Verlorenen Zeit
Von Horst Engels
Teil II - Reisestationen
Reisestationen der Botanisch-Zoologischen Rundreise um die Iberische Halbinsel
2.5 Die Nördlichen Gebirge Portugals (Northern Serras of Portugal)
2.5 Die Nördlichen Gebirge Portugals
2.5.2 Serra da Estrela
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2.5.2 Habitate und Gemeinschaften in der Serra da Estrela
C6. Ländliche Umgebungen in der Serra da Estrela
Sabugueiro, Serra da Estrela
Naturschwimmbad (Wasserrückhaltebecken) im Flüsschen Ribeira da Várza/Rio Alva in Sabugueiro.
Dort wo sich heute das Rückhaltebecken befindet, besass der Fluss damals eine natürliche Bachvertiefung, die reich an organischem Detritus und an Insektenlarven war. An dieser Stelle sichtete ich (ENGELS, H. 1972) im Sommer 1971 um die Mittagszeit einen Pyrenäendesman, zu einer ganz aussergewöhnlichen Zeit für dieses normalerweise nachtaktive Tier. Damals war diese seltene und für die Iberische Halbinsel (einschl. Französische Pyrenäen) endemische Spezies selbst in der wissenschaftlichen Welt noch fast unbekannt, obwohl die Spezies schon 1863 von BOCAGE J.V. BARBOSA DU) für Portugal aufgelistet wird und in Naturkunde-Museen ausgestellt wurde (z.B. im Zoologisches Museum der Universität Coimbra). Heute ist die zu der Familie der Maulwürfe (Familie Talpidae) gehörige Spezies streng unter Natura 2000 geschützt. Das im klaren Gebirgswasser (montane Stufe) lebende Tier ernährt sich überwiegend von kleinen Insektenlarven (Ephemeroptera, Trichoptera, Plecoptera) (Galemys-Ernährung), welche es hauptsächlich mittels eines sehr empfindlichen Tastorgans, welches in der verlängerten Nasenpartie sitzt, ortet. Aufgrund zunehmender Umweltverschmutzung und infolge von Verbauungen (Hydroelektrische Nutzung usw.) in den Gebirgsbächen der Iberischen Halbinsel ist das auf Wasserverschmutzung äusserst empfindlich reagierende Tier jedoch sehr gefährdet und besitzt innerhalb von Natura 2000 (Galemys ICNF) einen strengen Schutzstatus (für diese Spezies müssen Schutzgebiete ausgewiesen werden). Dennoch scheint die Art weiterhin in ihrem Verbreitungsareal und ihrem Bestand abzunehmen.
Sabugueiro, Serra da Estrela
Einführung
Die Landschaft der Serra da Estrela wurde grundlegend durch den Menschen gestaltet und verändert. Wir haben darüber schon im Zusammenhang mit der Abholzung der Serra da Estrela gesprochen (siehe: Wälder). Diese Modifikation der Landschaft begann etwa 7000 Jahren, als die Menschen die Serra da Estrela besiedelten. Von diesem Zeitpunkt ab verschwinden allmählich die Wälder. Mit den neolithischen Kulturen beginnend, hinterließen später auch die Römer, Westgoten, Araber und Juden ihre kulturellen Spuren in der Serra da Estrela. Wahrscheinlich haben sich seit Beginn der Landwirtschaftlichen Tätigkeit des Menschen in der Serra da Estrela fast alle Pflanzengemeinschaften verändert, vor allem Waldstrukturen, Heiden und Gebüsche und Grasland, außer vielleicht den aquatischen Lebensgemeinschaften (Gewässer) und den rupikolen Umgebungen (Felsumgebung). Neue halbnatürlichen Biotop entstanden mit den Weidepraktiken und Brandrodung der ersten Hirten, es gingen natürliche Biotope (Primärbiotope) wie z. B. unberührter Klimax-Wald (Primärwald) verloren, aber die Verfügbarkeit von neuen ökologischen Nischen in Sekundärbiotopen (z.B. Brachen) im Rahmen traditioneller landwirtschaftlicher und forstwirtschaftlicher Tätigkeiten des Menschen ermöglichten die Ansiedlung von vielen Arten, die es in der Serra da Estrela bis dahin nicht gab. Andere wurden mit Absicht der Kultivierung eingeführt und angebaut (meist Getreide, Gemüse und Früchte).
Heute ist die traditionelle Land- und Forstwirtschaft jedoch wieder auf dem Rückzug und es besteht die Gefahr, den gewonnenen Reichtum an biologischen Vielfalt in Kulturlandschaften durch Intensivbewirtschaftung, aber vor allem auch durch gänzliche Aufgabe einer Bewirtschaftung wieder zu verlieren.
Jan Jansen schreibt 2002, dass seit der letzten Volkszählung im Jahr 1991 bis zur Volkszählung von 2001 die Bevölkerung der Serra da Estrela um 5% reduziert und der Bereich der Aktivitäten sich zu Freizeitaktivitäten zu Lasten der Aktivitäten des Primärsektors (Land- und Forstwirtschaft) verschoben hat. Heute wird in der Volkszählung von 2011 deutlich, dass dieser Trend sich noch dadurch zu verstärken scheint, dass die portugiesische Bevölkerung immer mehr altert und mit den älteren Menschen auch traditionelle Aktivitäten und Kulturen verschwinden.
Index der ‘Alternden Bevölkerung’ in Portugal für die Jahre 2001 und 2011
Im Zensusbericht von 2011 (Provisorische Resultate p.14) kann man lesen: „Die alternde Bevölkerung ist eine der beunruhigendsten demografischen Phänomene der modernen Gesellschaften des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Dieses Phänomen spiegelt sich deutlich im sozioökonomischen Kontext mit Auswirkungen auf die Gestaltung der Sozial- und Nachhaltigkeitspolitik wie im Individuellen Verhalten durch Änderungen des individuellen Lebensstils wider.
In Portugal beträgt der Anteil der Population mit 65 oder mehr Jahren im Jahr 2011 19%. Dieser Wert steht in deutlichem Kontrast zu den im Jahr 1960 beobachteten 8%, und zu 16% im vorangegangenen Jahrzehnt (2001). Der “Alterungsindex” der Bevölkerung spiegelt diesen Trend ebenfalls wider. Im Jahr 2011 zeigte der Alterungsindex ein Überwiegen der älteren Bevölkerung über junge Menschen in Portugal. Die definitiven Ergebnisse des Zensus von 2011 zeigen, dass das Land im Jahr 2011 einen Alterungsindex von 128 hat (im Jahr 2001 betrug der Index 102), was bedeutet, dass Portugal heute mehr ältere als junge Menschen besitzt und der Index von 2001 bis 2011 sich von 102 auf 128 erhöht hat. (Nur 16 der 308 Gemeinden Portugals zeigen 2011 niedrigere Alterungsindikatoren als im Jahr 2001). Ein Altern der Bevölkerung ist also nicht mehr nur ein Phänomen der Munizipien des Landesinneren, sondern breitet sich auf das gesamte territoriale Gebiet aus."
Jan JANSEN (2002) beschreibt die Tendenzen der demographischen und ländlichen Entwicklung in der Serra da Estrela folgendermaßen:
Der letzten Volkszählung (1991) nach wird das Gebiet des Naturparks Serra da Estrela von rund 44.000 Einwohnern bewohnt, dies entspricht einem Rückgang von etwa 5,5% gegenüber 1981. Die Beschäftigten zählen rund 16.000. Etwa 10% arbeiten in der Land- und Forstwirtschaft. Mehr als die Hälfte arbeitet im Sekundärsektor, wo die Woll- und Textilindustrie etwa 6.000 Personen beschäftigt. Etwa ein Drittel ist im tertiären Sektor tätig, wobei der Tourismus immer mehr an Bedeutung gewinnt. Die meisten Menschen leben in Dörfern am Fuße des Gebirges oder in den Tälern. Sabugueiro ist das höchstgelegene Dorf (über 1.100 m NN). Dauerhaft bewohnte Siedlungen gibt es bis auf 1.200 m NN. Kleine Gruppen von Bauernhäusern ("casais") verteilen sich über die nördlichen Hochebenen um Folgosinho und Videmonte. Die Feriendörfer von Penhas da Saúde und Penhas Douradas über 1.500 m NN zeigen die zunehmende Bedeutung von Freizeitaktivitäten und Tourismus.
Die traditionelle extensive Agrarlandschaft zeigt eine hohe floristische und faunistische Vielfalt, vor allem dort, wo eine Vielzahl verschiedener relativ kleinflächig angebauter Kulturen innerhalb einer Matrix verschiedener Biotope wie Gebüsche, Wiesen, Flüsse, Bewässerungskanäle, Felswände und Brachflächen zusammentreffen. Neben ihrer Bedeutung für bestimmte Arten und Biotope besitzen diese Landschaften auch wegen ihres ästhetischen Wertes und ihre kulturelle Bedeutung hohen Wert.
Die ausgiebig beweideten Heiden und Grasländer wurden in den Kapiteln c3 und c4 beschrieben (siehe: Heiden und Gebüsche und Grasland). Sie spielen eine wichtige Rolle im Vegetationsmuster der Landschaft, denn der Mensch und sein Weidevieh sind die treibende Kraft bei der Verlagerung von Energie und Nährstoffen von den "Outfields" zu den "Infields".
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Farming in Scotland (Wikipedia)
In Schottland wurde das “Outfield-Infield”-System bereits im Mittelalter praktiziert
Haus in Granit mit Garten - Teile von Strukturen eines “Infield-Outfield” - Systems im Zezere-Tal (Serra da Estrela)
Die meisten "Outfields" sind Allmenden (engl. ‘commons’; port. 'baldios') und schließen Heiden und offene Weidegebiete ein; "Infields" befinden sich näher an den Siedlungen, darunter vor allem private Ackerland, Heuwiesen und Gemüsegärten.
Situation der Allmende (engl. Commons) im Naturpark Serra da Estrela (Aus: JANSEN J., DIEMONT H. (2011)
Der Transport von Vieh und Materialien entlang eines komplizierten Netzes von Wegen von den "Outfields" zu den Siedlungen (“Infields”) zeigt ein deutliches Vegetationsmuster, einschließlich nitrophiler, Ruderal- und Trampelpfad-Spezies. Der Kot von Schafen und Ziegen düngt die Pflanzengemeinschaften, die die verschiedenen Ackerlandschaften der unteren Hochebenen und terrassenförmig angelegten Hänge besiedeln. Dies kann direkt in der Zeit passieren, in der die Herden auf dem Land bleiben (manchmal über Nacht in beweglichen Zäunen) oder indirekt durch die Verwendung von Sträuchern und anderen Pflanzen als Unterlage im Stall, die anschließend als Stallmist mit Dünger gemischt auf das Land gebracht wird. Die meiste Vegetation in der Gegend ist direkt oder indirekt mit der langen Geschichte des Pastoralismus verbunden.
Transhumanz in Serra da Estrela (Nach: JANSEN, J. 2002)
In der Vergangenheit, wanderten viele Hirten lange Strecken (Transhumanz), vom Herbst bis zum Frühjahr, bis zum Douro-Becken im Norden, Idanha im Südosten oder sogar Alentejo im Süden. Im Frühjahr kehrten sie mit ihren Schafherden und Ziegen über bestimmte Pfade zu den hohen Weiden der Serra da Estrela zurück.
In niedrigeren Höhen gab es Beweidung das ganze Jahr über. Die Fernwanderungen nahmen nach dem Zweiten Weltkrieg ab, heutzutage sind es wenig mehr als lokale Bewegungen. Darüber hinaus sank die Anzahl der Ziegen und Schafe der sechs Gemeinden, die den Naturpark einschließen, von 1940 bis 1978 um etwa fünfzig Prozent (Ziegen von 32.000 auf 10.500; Schafe von 31.000 auf 18.500). Aus der Tradition des Pastoralismus entstanden zwei einheimische Rassen von Schafen, die Mondegueira und die Bordaleira da Serra da Estrela.
Verbreitung der Schafrasse: Mondegueira in Portugal
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Schafrasse: Bordaleira Serra da Estrela
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Letztere (Bordaleira) gilt als die beste Rasse für die Milchproduktion. Um den berühmten Serra da Estrela-Käse zu produzieren, wurde ein pflanzliches Koagulans aus den Blüten der Kardone (Artischocke) (Cynara cardunculus) verwendet, welches der frischen Milch zugegeben wurde.
Getrocknete Blüten der Artischocke -
für die Koagulation der Milch zur Käseherstellung verwendet
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Der kräftige Serra da Estrela Schäferhund (Cão Serra da Estrela) wurde gezüchtet, um die Herden zu bewachen und gegen Wölfe zu verteidigen.
Cão Serra da Estrela - Hunderasse
Ziegen der Serrana-Rasse, die aus der Serra da Estrela stammen, ist die verbreitetste Rasse im Lande, überwiegend vom Tejo ab im Norden gehalten.
Serrana - Ziegenrasse
Seit einigen Jahrzehnten leiden die Bergregionen im Mittelmeerraum an einer sozioökonomischen Ausgrenzung (ganz im Gegensatz zum zunehmenden Interesse an Küstengebieten). Das Ergebnis ist ein drastischer Rückgang der Bevölkerung und ihrer landwirtschaftlichen Aktivitäten. Die Situation in der Estrela ist keine Ausnahme.
Unter den gegenwärtigen Umständen ist das agro-pastorale System zum Kollaps verurteilt und schließlich wird die traditionelle Kulturlandschaft weitgehend verschwinden. Die Vielfalt der semi-natürlichen Biotope wird weitgehend für die Gleichförmigkeit derselben Altersklassenaufforstung mit fremden Baumarten geopfert, was sowohl die Zunahme der Brandgefahr als auch die Abnahme der Biodiversität zur Folge haben wird. Alte genetische lokale Rassen (sowohl Pflanzenkulturen als auch Viehbestand) werden erodieren und durch nicht-indigene Rassen oder vielleicht durch genetisch manipulierte Mutanten ersetzt werden. Eines der größten Probleme ist die zunehmende Globalisierung der Märkte. Billige agroindustrielle Bulk-Produkte von anderswo (oft von der EU subventioniert) dringen in den lokalen Markt ein. Die meisten dieser Agrarindustrien haben starke negative Auswirkungen auf die Umwelt. Die Tradition der extensive Landnutzung steht in Einklang mit einem ökologisch sinnvollen Management. Doch ohne eine sozioökonomische Basis reicht dieses Bewusstsein nicht aus. Nachhaltigkeit kann das Zauberwort sein. Vielleicht würde die ländliche Wirtschaft wieder aufleben, wenn die Politik dazu beitragen würde, die Etikettierung und die Bezeichnung ihrer hochwertigen Produkte, ihrer Gastronomie, des Ökotourismus, der Bio-Landwirtschaft, des Handwerks und ihre traditionelle Architektur zu stimulieren. Vielleicht gibt es nur deshalb eine Chance, Produkte und Dienstleistungen anzubieten, die in dicht besiedelten Gebieten kaum noch bestehen und gepflegt können, weil das Gebiet in der Tat lange Zeit isoliert und benachteiligt war. Lebensmittel, die in der Estrela produziert werden, können die modernen Anforderungen auf höchstem Niveau erfüllen. Die Produkte enthalten keine oder kaum Fremdstoffe. Ihr Verkauf würde der traditionellen Kultur und dem Management eines einzigartigen Ökosystems helfen, die Vielfalt und die Qualität der Landschaft beizubehalten. Die großen städtischen Märkte können genügend Nachfrage stellen. In den letzten Jahren gibt es ein wachsendes Interesse an gesunder Ernährung und "zurück zur Natur". Kann das natürliche und kulturelle Erbe als Inspirationsquelle für moderne (städtische) Menschen fungieren und damit mit ihren historischen Wurzeln verbinden? Bei der Beschreibung der Landschaft ist ein wichtiges Muster zu nennen, nämlich dass die Intensität, mit der die Biotope von der Landwirtschaft betroffen sind, mit zunehmendem Abstand von den Dörfern und Bauernhöfen, also von den "Infields" zu den "Outfields", abnimmt.
Hortikultur (Gartenbau) nimmt in der Regel nur kleine Parzellen ("Minifundios") in Anspruch, die sich in der Nähe von Siedlungen befinden. Zum Gartenbau gehören auch Intensiv-Kulturen von Gemüse, Wurzelpflanzen, Früchten und Zierblumen, die oft in abwechselnden Streifen von Beeten angebaut werden.
Unter den Gemüsen gibt es Kohl (Brassica spp.) und Bohnen (Phaseolus vulgaris, Vicia faba), unter den Wurzelkulturen Karotten (Daucus carota), Zwiebel (Allium cepa) und Kartoffel (Solanum tuberosum); Mais (Zea mais) ist häufig auch darunter. Unter den Früchten gibt es Wein (Vitis vinifera subsp. vinifera), Oliven (Olea europaea subsp. europaea), Äpfel (Malus domestica), Birnen (Pyrus communis) und Kirschen (Prunus avium). Daneben wird eine Vielzahl anderer Früchte wie Walnuss (Juglans regia), Pfirsich (Prunus persica), Pflaume (Prunus domestica), Aprikose (Prunus armeniaca), Mandel (Prunus dulcis), Quitte (Cydonia oblonga) Mispel (Eriobotrya japonica), Granatapfel (Punica granaturn), Orange (Citrus sinensis) und Zitrone (Citrus limon) dort, wo ein günstiges Mikroklima es erlaubt, kultiviert.
In einiger Entfernung, oft in den Tälern, bestehen die landwirtschaftlichen Flächen in der Regel aus größeren Feldern, auf denen Wurzelkulturen und Gemüse (vor allem Kartoffel Mais und Rübsen (Brassica rapa), Getreide (Roggen: Secale cereale, Hafer: Avena sativa) angebaut wird, sowie aus Obstgärten und Wiesen. Terrassen an Hängen vergrößern die landwirtschaftliche Fläche und erleichtern die Bewässerung. Weinberge und Kastanienwälder sind meist an Hängen gepflanzt. Grosse Gebiete mit Hanglage wurden überwiegend mit Sternkiefer (Pinus pinaster) aufgeforstet. Die abgerundeten Hochebenen sind weitgehend mit Roggenfeldern bedeckt, die nicht bewässert werden müssen. Die verbleibende Flächen bestehen zu unterschiedlichen Anteilen aus Heiden (siehe: Heiden und Gebüsche), Wiesen (siehe: Grasland), aquatischen (siehe: Gewässer) und rupikolen (siehe Felsumgebungen) Formationen.
Im Folgenden werden einige landwirtschaftliche und andere anthropogene Biotope in Bezug auf ihre Vegetation unterschieden.
1. Vegetation von bestellten Böden
Diese Formationen umfassen Gemeinschaften auf frisch bestellten, vor allem aus Hacken oder Pflügen melhorierten Böden. Viele der pflanzlichen Gemeinschaften sind auf Ackerböden optimal entwickelt, aber manche können auch an Straßenrändern und auf Baugrundstücken angetroffen werden. Die Umgebung des Ackerlands wird durch zwei Hauptfaktoren beeinflusst: Störung der kontinuierlichen Entwicklung der Pflanzenarten durch Hacken und Pflügen sowie durch die plötzliche Versorgung mit Nährstoffen (künstliche oder organische Düngemittel). In solch einer dynamischen Umgebung können die meisten Arten nur aufgrund ihrer angepassten Lebensform überleben (die meisten von ihnen sind einjährig), die Produktion von großen Mengen von Samen (um ungünstige Zeiten überleben zu können) und in einigen Fällen die Lagerung von Nährstoffen in unterirdischen Zwiebeln, Wurzelstöcken und Knollen. Die Rhizome von mehreren mehrjährigen Sträuchern und die Rosetten von zweijährigen Kräutern werden durch die traditionellen Pflugmethoden nicht vollständig beseitigt. Manche Spezies können in der ungestörten Umgebung zwischen den Furchen keimen. Allerdings scheinen moderne Pflugtechniken die meisten Arten zu beseitigen, ganz zu schweigen von der Verwendung von Herbiziden. Die traditionell bewirtschafteten Ackerlandschaften im Estrela bieten noch artenreiche Unkrautgesellschaften. Diese werden voraussichtlich in der Zukunft verschwinden, da der Einsatz moderner Techniken zunehmen wird. Darüber hinaus ersetzen heutzutage Waldlandplantagen, die die Landschaft der nördlichen Ebenen um Folgosinho und Videmonte drastisch verändern, zahlreiche Roggenfelder.
Unkrautgesellschaften können in solche von Wurzelgemüse und Gemüse oder von Getreide (z. B. Roggen, Hafer - Herbstsaaten) unterteilt werden. Die erste Gruppe beherbergt in der Regel mehr nitrophile Arten, weil die Kulturen in der Regel stärker bearbeitet und gepflegt werden als die Getreidekulturen. Nitrophilie kann ihre stärkere Affinität zur Ruderalvegetationn erklären. Unkraut auf Getreidefeldern kann sich dagegen in therophytischen Wiesen zeigen und umgekehrt, was eine Trennung dieser Gemeinschaften erschwert. Darüber hinaus werden die meisten Wurzelkulturen und Gemüse durch Bodenbearbeitung aufgelockert und gejätet, während bei Getreide keine Bodenbearbeitung nach der Aussaat stattfindet. Ein Wechsel von der Bodenbearbeitung zur Nichtbearbeitung bewirkt im Allgemeinen eine Verschiebung in den Unkrautarten. Mit der Zeit werden kleinsamige einjährige Unkräuter in unbearbeiteten Böden durch breitblättrige und mehrjährige Unkräuter ersetzt.
Es gibt jedoch keine systematischen Studien über Unkrautgemeinschaften, daher können hier auch verschiedene eigenständige Unkrautgesellschaften nicht abgegrenzt und vorgestellt werden. (Jan JANSEN, 2002).
Ebensowenig wie bisher zu den Unkrautgesellschaften eigenständige pflanzensoziologische Kategorien aufgestellt sind, existieren in Natura 2000 Habitatauszeichnungen für synanthropen Agrarlandschaften und Biotope. Es wäre jedoch sicherlich erstrebenswert und sinnvoll, z. B. Ackerrandstreifen und extensiv landwirtschaftlich genutzte Flächen als schützenswerte Habitate auszuweisen, denn sie sind vielfach letzte Refugien für viele Spezies, die auf intensiv bestellten Äckern keinen Lebensraum mehr finden.
Unkrautarten rekrutieren sich vorwiegend aus Pflanzengemeinschaften, die von Costa et al. 2012 als “Synanthropische Vegetation” innerhalb der Kategorie “Synanthropischer, Waldrand- und Megaforbischer Vegetation” zusammengefasst werden. Hier sind es vor allem die folgenden Klassen innerhalb der Synanthropischen Vegetation, die in der Serra da Estrela vertreten sind und aus denen sich viele Ackerunkräuter rekrutieren:
Besonders die Klasse Stellarietea mediae der “Ackerunkrautfluren” trägt mit vielen Arten zur Unkrautvegetation bei. Wir können bei WILMANNS, O. (1998) zur Beschreibung dieser Klasse nachlesen (1998, pp. 108-110) :
Diese Klasse ist diejenige, welche in Entstehung, Erhaltung und Standortsgestaltung wohl am stärksten dem menschlichen Einfluß unterworfen ist. Die Gesellschaften werden auch, sogar unter Einschluß jener der Gartenunkräuter, Segetalvegetation genannt. Sie bilden den Kern dessen, was man umgangssprachlich unter Unkrautvegetation versteht, wozu freilich auch ausdauernde Gesellschaften gehören. Schon der Begriff Unkraut = unerwünschtes Kraut ist ja anthropozentrisch und wirtschaftsorientiert. Als Unkräuter bezeichnete Wildkräuter sind nicht auf Land- und Gartenbau beschränkt; auch für den Forstwirt gibt es unliebsame Pflanzen, z. B. die verjüngungshemmenden, dichten Rasen der Seegras-Segge, Carex brizoides. Von weltweiter Bedeutung aber sind die Unkräuter da, wo sie mit Kulturpflanzen in Konkurrenz treten und von deren optimaler Nährstoffversorgung profitieren. Seit Jahrtausenden bekämpft der Mensch sie mechanisch durch Jäten, Hacken oder Pflügen; werden doch die ältesten Kulturweizenfunde, die von Jarmo im Irak, auf 6750 v. Chr. datiert, dem oberägyptischen Gerstenanbau werden sogar 18000 Jahre zugeschrieben! Die chemische Bekämpfung begann um 1900 mit ätzenden Düngesalzen und wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg infolge der Entdeckung der Herbizide intensiviert. So wurden und werden durch Vernichtung der Platzräuber immer wieder kurzfristig Stellen geschaffen, die für Therophyten siedlungsgünstig waren und sind; dieser Lebensform gehört denn auch die überwiegende Mehrzahl unserer Ackerunkräuter an. Trotz dieser ausgeprägten Anthropogenität spiegeln die Gesellschaften in den meisten Gegenden noch sehr klar die standörtliche Differenzierung wieder. In einigen Gebieten sind sie jedoch bereits stark nivelliert und auf wenige „zähe", d. h. den verwendeten Herbiziden widerstehende Arten geschrumpft. Dies muß uns anregen, nach der biologischen Rolle der Ackerkräuter im Ökosystem zu fragen; sollte man etwa die Kenntnis ihrer Biologie nutzen, um ihre totale Eliminierung anzustreben? Ob dies ökologisch tragbar, ökonomisch günstig, ob es überhaupt machbar wäre, ist eine andere Frage. Dazu seien im folgenden Tatsachen und Zusammenhänge besprochen, wobei wir den hergebrachten Ausdruck Unkraut mit Vorbehalt beibehalten wollen.
Die Bewältigung der Standortsverhältnisse
Der Lebensraum des Ackers wird bestimmt durch zwei Faktorenkomplexe: die mehrfache Störung der Kontinuität der Entwicklung im Jahreslauf durch Pflügen, Grubbern, Eggen, Hacken oder Jäten und durch die stoßweise Nährstoffzufuhr durch Mist, Kompost, Gülle oder Mineraldünger. Für Rebberge und Gärten gilt dasselbe. Auf Dauer existenzfähig sind hier deshalb nur Arten, die sich schon in der Naturlandschaft an ähnliche Standorte hatten anpassen können. Da die floristische Verwandtschaft der einjährigen Ruderalgesellschaften groß ist (s. BS 5 Sisymbrienea) wird man für sie, die noch kaum ökologisch untersucht sind, entsprechendes annehmen dürfen. Ruderalpflanzen sind Arten, die Schutt (lat. rudus, -eris), Trümmerplätze, steinige Böschungen, Gleiskörper, gestörte Wegränder und ähnliche zivilisationsbedingte Stellen besiedeln (s. auch S. 265). Man rechnet mit etwa 650 Arten von Ackerunkräutern (einschließlich „Ungräsern") in Europa. Rund die Hälfte gehört zu den ohnehin sehr artenreichen Familien der Asteraceae, Brassicaceae, Poaceae und Caryophyllaceae; interessant ist jedoch der überproportionale Anteil der Amaranthaceae und Polygonaceae, Glieder der Ordnung Caryophyllales, denn in dieser ist die Tendenz zur Salzfestigkeit entwickelt – sicher eine gute Präadaptation für stark gedüngte Standorte.
Bei den Unkräutern sind 3 „Großtypen" von Strategien entwickelt, die in Form zahlreicher „Feinstrategien" verwirklicht werden (vgl. WILMANNS 1989a). Die meisten sind sog. Samenunkräuter, Therophyten mit kurzer Generationsdauer und bis zu 4 Generationen pro Jahr. Da die einzelne Wildpflanze (im Gegensatz zur typischen Kulturpflanze) meist über Wochen hin blüht und fruchtet, überlappen sich die Generationen bei solchen Arten, die ganzjährig zur Keimung fähig sind; die Population wird gleichsam immergrün und kann in wintermilden Gebieten das ganze Jahr zu Energiegewinn und Entwicklung nutzen. Die Samenproduktion pflegt außerordentlich hoch zu sein; eine kräftige Pflanze von Amaranthus retroflexus kann 500 000 Samen bilden, selbst ein kräftiges Hirtentäschel kann 90 000 erreichen! Dazu ist Langlebigkeit der Samen unter keimungshemmenden Bedingungen die Regel; 20 bis 40 Jahre sind keine Ausnahme. Spitzenkandidaten sind Chenopodium album und Spergula arvensis, die – glaubhaft geprüft – ihre Keimfähigkeit mehr als 1700 Jahre unter frühgeschichtlichen Resten bewahrt hatten. Der erste Schritt, die Keimung, ist natürlich besonders gut untersucht und zeigt, genetisch bedingt, große Verschiedenheit sowohl zwischen den Arten als auch innerhalb der Populationen. Dazu kommt, daß die steuernden Faktoren je nach Kombination verschieden wirken. Derart variable Reaktionsmöglichkeiten sind verständlicherweise der Erhaltung einer Therophytenart an Störstandorten förderlich.
Die zweite Strategie haben die sog. Dauerunkräuter entwickelt: Sie behaupten sich als ausdauernde Pflanzen dank stark und rasch regenerierender unterirdischer Organe (als Rhizom- bzw. Wurzelunkräuter). Beispiele sind Cirsium arvense, Convolvulus arvensis und Agropyron repens. Da auch Rhizomfragmente mit Knoten austreiben können, werden solche Pflanzen durch schneidende und rotierende Ackergeräte bei gelegentlichem Einsatz relativ gefördert, bei häufigem führen die Stoffverluste schließlich zum Tod der Pflanze. Sie sind von den Witterungsbedingungen unabhängiger als die Therophyten, da sie bis zu 2 bis 3 m tief wurzeln. Der Samenbank (seedbank) entspricht hier eine „Knospenbank" (budbank). Evolutionsbiologisch bemerkenswert ist schließlich die dritte Gruppe, die der crop mimetics; man kann sie als „Angleichungstyp" den beiden „Widerstandstypen" gegenüberstellen. Sie leiten sich, wie Übergänge beweisen, von Samenunkräutern ab, die konvergent „Tarneigenschaften" entwickelt haben, indem sie Kulturpflanzen in Morphologie und Lebenszyklus imitieren (BARRETT 1983). So wurde z. B. Echinochloa crusgalli var. oryzicola vegetativ dem Reis täuschend ähnlich und wird daher nicht gejätet. Ging die Mimese allerdings so weit wie bei Agrostemma githago, der Kornrade, und einigen andern Unkräutern, vor allem den auf Leinfelder spezialisierten, die kulturpflanzenartig fast geschlossene Kapseln und Samen ohne Keimverzug evoluierten, dann ist bei verbesserter Saatgutreinigung oder gar bei Aufgabe des Anbaus ihr Schicksal besiegelt (KORNAS 1988). Innerhalb dieser „Großtypen" haben die einzelnen Arten durchaus ihren eigenen ökophysiologischen Charakter. Dies zeigten in doppeltem Sinne beispielhaft POPAY & ROBERTS (1970), welche die in ihrer ökologischen Konstitution einander sehr ähnlichen Stellarietea-Kennarten Capsella bursa-pastoris und Senecio vulgaris vergleichend untersuchten. Beide Pflanzen sind sehr häufig und pflegen, wie auch andere Ackerunkräuter, jeweils schubweise in großer Anzahl zu keimen, besonders unmittelbar nach einer Störung wie dem Hacken. Dies macht man sich ja seit jeher bei ihrer Bekämpfung praktisch zunutze. Capsella ist ein ausgesprochener Lichtkeimer. In ihrem Falle müssen die Samen einer Kälteperiode unterworfen gewesen sein, ehe sie keimen können. Um die Dormanz (Samenruhe) zu brechen, sind Keimtemperaturen um 4 °C günstiger als hohe; solche fördern jedoch die Entwicklungsgeschwindigkeit; der natürliche Temperaturwechsel ist also durchaus günstig. Werden die Samen einige cm tief im Boden begraben, so keimen sie, u. U. über mehrere Jahre hin, nicht aus, bilden also ein Reservoir, eine Samenbank. Erhöhte CO2 - und erniedrigte O2-Konzentrationen hemmen ebenfalls. Fördernd wirken Nitrate in der Bodenlösung, wie es am Standort der Fall zu sein pflegt. Bei Senecio vulgaris ist dagegen keine Stratifikation (Samenvorbehandlung) zum Bruch der Dormanz notwendig. Die Keimung beginnt daher schon im Herbst. Eine Lichtabhängigkeit ist nur bei hohen Temperaturen nachweisbar; bei tiefen kann ein geringer Prozentsatz der Samen auch im Dunkeln keimen. Die Keimung ist also in komplizierter und artspezifischer Weise von einer „inneren Uhr", von der Temperatur, vom Licht, von der CO2- und O2-Konzentration und der Anwesenheit bestimmter Ionen abhängig. Dabei besteht ein und dieselbe Population aus genetisch verschiedenen Individuen.
Schließlich ein Beispiel für die Populationsökologie einer annuellen Ruderalpflanze, Hordeum murinum (DAVISON 1971).
Die Mäuse-Gerste ist Kennart des Bromo-Hordeetum (V. Sisymbrion), einer Gesellschaft schwach betretener, nährstoffreicher, warmtrockener Ruderalstandorte. Sie kann sich leicht zu Tritt- oder Staudenruderalgesellschaften weiterentwickeln. DAVISON beobachtete in England, daß Hordeum murinum nie länger als 2 Jahre an der gleichen Stelle vorkam, daß die Population sich also nur dann erhält, wenn stets aufs neue offener Boden besiedelt werden kann. Daß die Mäusegersteflur sich über längere Zeit hin als Dauergesellschaft hält, wie es im Oberrheingebiet z. B. der Fall ist, setzt also offenbar einen ganz bestimmten Störungsgrad voraus, der möglicherweise unter den atlantischen Klimabedingungen Großbritanniens schwieriger zu verwirklichen ist als im submediterran getönten Oberrheintal. Welche experimentellen Befunde machen dieses Verhalten verständlich? Die Dormanz ist so kurz, daß die Keimung schon im Herbst erfolgt. Pflanzen, die erst im Frühling keimen, kommen im gleichen Sommer nicht mehr zur Blüte, da sie durch tiefe Temperaturen zuvor vernalisiert worden sein müssen. Werden junge Hordeum-Pflanzen im Winter von einer nur 5 cm dicken Schicht von Laub überdeckt, so sterben sie bis April ab. Beschattet man die blühenden Pflanzen so stark, daß nur noch 25 % relative Lichtintensität herrscht, so bilden sie keine keimfähigen Karyopsen mehr aus. Gleiches muß man annehmen für den Fall, daß im Gelände Konkurrenten Schatten werfen. Die beiden letztgenannten Eigenschaften erklären die auch im Experiment beobachtbare Konkurrenzschwäche der Pflanze. Umgekehrt ist sie durch die hohe Fruchtproduktion und die rasche Keimung zum Pionier prädestiniert.
Die Klasse Polygono - Poetea annuae trägt vor allem mit einjährigen Trittsteinarten zur Vielfalt der synanthropen Pflanzenwelt bei. Zu den Trittstein- und Trampelarten dieser Klasse schreibt WILMANS, O. (1998 pp. 106-108 ):
An stark betretenen oder befahrenen Stellen, so in Pflasterritzen bis in die Stadtzentren hinein, an Straßenrändern, auf grusigen Hofplätzen, kommen fast nur noch niederwüchsige Therophyten und einige Kleinmoose vor, diese aber häufig. Welche standortsökologischen Faktoren sind hier für die Auslese auf Therophyten hin entscheidend? Starke Bodenverdichtung mit ihren Folgen für Sauerstoff- und Wasserhaushalt und häufige mechanische Verletzung der Pflanzen wirken gewiß grundsätzlich selektierend, und nur in dieser Beziehung widerstandsfähige Arten sind hier überhaupt lebensfähig. Eine gewisse Schwermetalltoleranz wird hinzukommen müssen (HELLMUTH & SCHMIDT 1990). Sowie der Faktor der mechanischen Verletzung ausfällt, z. B. nach Einzäunung, so ist zu beobachten, daß sich Ausdauernde einstellen. Therophyten sind auch hier also nur Pioniere an einem immer wieder entblößten Standort. Sie haben wegen ihrer kurzen Entwicklungsdauer am ehesten die Chance, bis zur Fruchtreife zu gelangen; ihre Diasporen stehen daher jederzeit reichlicher zur Verfügung als die anderer Pflanzen. Die als Hemikryptophyt aus dem Rahmen fallende Sagina procumbens mit den sie begleitenden Moosen ist so niedrig, daß sie durch Pflastersteine geschützt wird, und bestätigt, daß hier die Selektion der Arten durch Verletzung erfolgt.
Wo solche Verkehrsflächen an städtische oder beweidete, ebenfalls durch „Belastung" lückige Rasenbestände angrenzen, kommt es häufig zu mosaikartigen Verzahnungen und zu Übergängen, meist scharf begrenzt. Dabei greifen Poa annua und Plantago major am weitesten aus; dies wird verständlich, wenn man die Populationsbiologie dieser Pflanzen betrachtet: Poa annua ist eine genotypisch variable (allotetraploide) Art, deren Formenreichtum sich in eine nach kurzer Zeit blühende und kurzlebige, aufrechte ssp. annua und eine sich langsamer entwickelnde, ausdauernde, niederliegend-aufsteigende Triebe mit Wurzeln bildende ssp. reptans fassen läßt. Die kleinen Horste der annuellen Form werden (meist oder immer?) in den Polygonum-Gesellschaften gefunden; in die Ausdauernden-Gesellschaften fügt sich (jedenfalls oft) die ssp. reptans ein; wie streng die Bindungen sind, muß noch überprüft werden. Tritt-Wegerich erreicht seine volle Lebenskraft nur dann, wenn er mehrere Jahre alt werden kann. Jedoch ist er phänotypisch plastisch und kann schon nach 6 Wochen Samen bilden, sich also wie ein Therophyt verhalten und auch eine Samenreserve im Boden bilden (s. S. 109) (HAWTHORN & CAVERS 1976).
Charakterarten höheren Ranges sind z. B. die Strahlenlose Kamille Matricaria discoidea, Poa annua ssp. annua, Polygonum aviculare in mehreren Kleinarten, Sagina procumbens. Ihre Areale zeigen, daß die Klasse infolge Verschleppung der Arten durch den Menschen weltweit verbreitet ist; schon der Verband Polygonion avicularis ist holarktisch, wobei jeweils Indigene mit Neophyten zusammentreten, sich also vor unseren Augen junge Symphylogenie abspielt. Südlich des temperaten Polygonion schließen in den einzelnen Kontinenten andere, eigenständigere Verbände an (OBERDORFER 1983). Bevorzugte Wanderwege für Tritt- und für Ruderalpflanzen sind Eisenbahnanlagen, wo sehr verschiedene, dazu überdurchschnittlich warme Standorte angeboten werden (BRANDES 1983), wo immer wieder offene, für Pioniere geeignete Stellen geschaffen werden und wo der Transport durch den Menschen mit Waren, mit Erde, mit Baumaterial leicht möglich ist. Der Neophyt Matricaria discoidea, in Nordostasien beheimatet, ist ab etwa 1850 zunächst längs der Eisenbahnlinien eingewandert; dank der verschleimenden Fruchtwand konnte die Pflanze mit dem Tritt von Mensch und Tier rasch selbst bis in die subalpine Stufe gelangen. Ähnliches gilt zur Zeit für Eragrostis minor, die in warmen Gebieten in Nicht-Bahnhofsgesellschaften, so auf Äcker, ausstrahlt.
Innerhalb der Untergruppe der “Waldrand- und megaphorbischen Vegetation”, die nur wenig zu den Ackerunkrautgesellschaften beitragen, aber als synanthropogene Begleiter auftreten, treten die folgenden Klassen in der Estrela auf:
Schließlich steuert noch die Therophytische Graslandvegetation mit vielen Arten aus der Klasse Tuberarietea Guttatae zum Reichtum der Ackerunkrautvegetation bei:
Im Folgenden werden charakteristische und häufig zu beobachtenden Arten aus 4 verschiedenen ausgewählten synanthropen Biotopen der Serra da Estrela aufgelistet (nach Jan JANSEN 2002).
Charakteristische Ackerunkräuter auf frisch bestellten Böden in der Serra da Estrela
In der Estrela können nach Jan JANSEN (2002) zumindest die folgenden Arten als charakteristisch für frisch bestellte Böden angesehen werden:
Stellaria media
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Vicia villosa subsp. varia
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Papaver hybridum
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2. Ruderalbiotope
Ruderal-Biotope zeichnen sich durch die unregelmäßige Versorgung mit verlagerten Materialien aus, die durch Mensch oder Tier, Flüsse oder durch Erosion verursacht wird. Diese Versorgung umfasst Dung, alluviale Ablagerungen, Baustoffe, Abfälle, etc., die alle zu einer Eutrophierung führen. Viele ruderale Arten und Ackerlandarten sind keine indigenen Arten, sondern werden aus anderen Teilen der Welt eingeschleppt. Manche sind schon in der neolithischen, andere in der Zeit der Römer oder der Araber, einige aus der Zeit der großen Entdeckungen, und einige erst seit kurzem bei ns angekommen. Ruderal-Umgebungen haben oft eine langgestrecktes Aussehen. Sie kommen entlang der Straße, von Zäunen, Hecken, Wänden, Flussufern, in der Nähe von Stallungen, Baustellen usw. vor.
Die floristische Zusammensetzung der ruderalen Vegetation ist sehr vielfältig, je nach Bodenbeschaffenheit, Temperatur (Aspekt, Licht), Feuchtigkeit, Topographie und anderen Faktoren. Eine deutliche Trennung von der nährstoff-anspruchsvollen Vegetation der Waldsäume und Waldlichtungen ist oft schwierig. Tatsächlich sind solche Biotope ebenfalls einer plötzlichen Zufuhr von Materialien, wie z. B. aus Laubfall und Erosion auf Hängen und Straßenabschnitten, ausgesetzt.
Analog zu den Waldsaum-Gesellschaften können Ruderalgesellschaften in solche von relativ feuchten und schattigen Orten (1) und solche von trockeneren sonnigen Standorten (2) unterteilt werden. Beide Gruppen enthalten nitrophile und subnitrophile Arten, überwiegend aus hohen Kräutern (oft Stauden und Biennale) bestehend, die anfällig gegen Niedertrampeln sind. Einige typische Vertreter beider Gruppen der Serra da estrela sind hier aufgelistet, Arten der ersten Gruppe sind mit (1) , die der zweiten Gruppe mit (2) markiert.
Oenothera sp.
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3. Vegetation der Trampelpfade und Trittsteine
Diese Art von Vegetation besteht hauptsächlich aus annuellen Kräutern und Gräsern, die sich auf oder entlang von Migrationswegen wie Straßen, Gassen, Wegen, Pfaden und Pisten oder an anderen von Menschen oder Tiere häufig besuchten Orten, zum Beispiel in der Nähe von Brunnen, Gehsteigen, Bahnhöfen und Häfen, ausbreiten und gedeihen
In der Estrela treten mindestens die folgenden Arten auf:
Wenn der Boden z.B. durch Weidevieh zertrampelt wird, wird seine Textur kompakter und infolgedessen neigt das Wasser dazu, an der Oberfläche zu bleiben, anstatt in die tieferen Schichten einzudringen. Deshalb können sich vor allem in flachen Depressionen entlang der Straßenarten Arten aus periodisch überschwemmten Lebensräumen niederlassen. Die meisten charakteristischen Spezies haben eine weite Verbreitung und aus diesem Grund unterscheidet sich die Vegetation der Pflastersteine in Manteigas, Lissabon, Paris oder London nicht sehr stark voneinander.
Eine Zunahme der Beweidung und des Viehtritts auf mehrjährigen Weiden begünstigt bestimmte Arten (z.B. Cynosurus cristatus, Trifolium repens, Nardus stricta). Therophytische Wiesen neigen dazu, von Zwiebel-Rispengras (Poa bulbosa) dominiert zu werden, einem interessantes Gras, das im oberen Gürtel auftreten kann, aber für gewöhnlich in niedrigeren Höhen auftritt. Man kann es einer viviparen Form finden, bei der ihre Blüten durch grüne Pflänzchen ersetzt werden, die winzige Blätter sprießen lassen, abfallen und wurzeln.
Poa bulbosa an der Quelle des Mondego (Mondeguinho) auf 1412 m NN, Penhas Douradas, Serra da Estrela)
Zwiebel-Rispengras ist an der Basis zwiebelartig verdickt und oft mit Resten alter Blattscheiden bedeckt. Durch ihre charakteristische Art zu weiden ziehen es Schafe oft aus dem Boden, denn sie haben keine Zähne im Oberkiefer und so verbreiten sie die Zwiebeln im Weidegebiet oder auf Migrationswegen. Aus diesem Grund sind Zwiebel-Rispengras-Weiden teilweise mit den alten Wegen der Transhumanz verbunden und auf der Iberischen Halbinsel weit verbreitet. Die Weiden können andere zwiebelige Pflanzenarten wie das seltene Dipcadi serotinum und die häufigere Berg-Zeitlose Merendera montana mit ihren krokusartigen Blüten, die nur im August oder später erscheinen, beherbergen. Der Kerbel-Hahnenfuss (Ranunculus paludosus) besitzt unterirdisch eine deutlich geschwollene Stengelbasis. Eine weitere charakteristische Art ist der Bodenfrüchtige Klee (Trifolium subterraneum), ein Klee, der seine Hülsen durch langgestreckte Stiele niederdrückt. Zwiebel-Rispengras-Wiesen besitzen nur eine geringe Ausdehnung in der Estrela. Sie sind im Süden des Landes viel besser entwickelt, besonders in Depressionen von Hutewäldern (port. montados).
In größeren Höhen kann Trampelpfadvegetation, angereichert mit Nährstoffen aus Tierexkrementen, Läger-Rispengras (Poa supina) und Acker-Schuppenmiere Spergularia rubra subsp. capillacea in das Spektrum der Arten einschliessen.
Spergularia rubra subsp. capillacea - in der Nähe von, Serra da Estrela
Erstere Art ist sehr selten, aber Spergularia rubra kann im Sommer leicht beobachtet werden, wo sie ihre fein lila-blühenden Matten entlang der Straßen, um Parkplätze und Skilifte in der Nähe von Torre und in flachen Depressionen auf Weiden des Oberen Gürtels zeigt. In der Tat handelt es sich meistens um Orte, in denen sowohl Nährstoffanreicherung als auch Trampling vorkommt, wie es bei Ruheplätzen für das Weidevieh oder das Wild, beliebten Picknickplätzen und wilden Toiletten der Fall ist.
Weidelgras-Wiesen (Lolium) sind sowohl anspruchsvoll bzgl. verfügbarer Nährstoffe als auch widerstandsfähig gegen Tritt. Die meisten Stände wurden gesät und sind sehr artifizielle und kurzzeitig bestehende Weiden oder Mähwiesen, die in Rotation mit Ackerbestellung genutzt werden. Sie sind bei Farmern in ganz Europa wegen ihrer hohen Produktivität beliebt. Weidelgraswiesen besitzen jedoch eine geringe Artenvielfalt und sind für den Naturschutz vollkommen unattraktiv. Tatsächlich sind sie eine Art grüne Wüste, in der kaum Kräuter, Insekten oder Vögel zu finden sind. Ihre geringe Artenvielfalt beruht nicht nur auf der eingesetzten Saatmischung. Sie ist auch damit verbunden, dass diese Wiesen stark gedüngt werden. Mehrjähriges Weidelgras (Lolium perenne) oder Italienisches Weidelgras (Lolium multiflorum) werden dabei sehr wettbewerbsfähig. Darüber hinaus widerstehen viele andere Arten nicht der mechanischen Beschädigung durch die trampelnden Tiere, die die Vegetation durchforsten.
Beide Lolium-Arten werden oft von Annuellen wie das Einjährige Rispengras (Poa annua) und Trittrasen-Knöterich (Polygonum arenastrum) begleitet. Neben landwirtschaftlicher Nutzung werden Lolium-Wiesen auch in Freizeit- und Sportgeländen eingesetzt. Zum Beispiel bestehen die meisten Fußballfelder aus Lolium perenne-Teppichen. Glücklicherweise sind Lolium-Wiesen in der Estrela selten, im Gegensatz zu großen Teilen Europas, wo diese modernen Wiesen große Gebiete einnehmen und die traditionell bewirtschafteten artenreichen Wiesen zunehmend ersetzen. Letztere sind extrem anfällig, aber von hohem Naturschutzinteresse. Es wird jedoch befürchtet, dass sie sich zugunsten der Lolium-Wiesen weiter in ihrem Bestand verringern werden, da die Landwirte ständig auf der Suche nach Maximierung der Futterherstellung und des Ertrags sind.
4. Mauervegetation
Diese Vegetation findet man an Granit- und Schieferwänden (manchmal Ziegelmauern) entlang von Straßen, in Dörfern, um Bauernhöfe, Häuser und Weiden, entlang von Straßen. etc. Die Spezies in diesen Biotopen ist an ein vertikales Substrat angepasst. Ihre Wurzeln durchdringen die Fissuren und Risse der Wände und erhalten nährstoffreiche Substanzen von dem nahe gelegenen, gedüngten Land. Die Fülle von Nährstoffen kommt meist aus Abflusspartikeln oder sogar aus der Verdampfung von Ammoniak vom Fuß der Wände. Die Wandvegetation variiert sowohl in der Deckung als auch in der floristischen Zusammensetzung je nach Aspekt, Feuchtigkeit und anderen Faktoren (z. B. Granit, Schiefer, Anwesenheit und Art von Mörtel).
Charakteristische Arten sind:
Erysimum cheiri
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Neben diesen charakteristischen Spezies bietet die Vegetation Bedingungen für nitrophile Ruderalpflanzen und andere Unkräuter. Besonders in weniger nitrifizierten Felsgebieten können sich weitere rupikole Arten (siehe: Felsumgebungen) anschließen, wie Anarrhinum bellidifolium, Anogramma leptophylla, Asplenium trichomanes, Ceterach officinarum, Phagnalon saxatile, Polypodium interjectum, Rumex induratus, Saxifraga fragosoi, Saxifraga spathularis, Sedum anglicum subsp. pyrenaicum, Sedum brevifolium und Sedum hirsutum.
Senhora da Boa Estrela - Schutzherrin der Hirten. Covão do Boi - Serra da Estrela.
Senhora da Boa Estrela - Schutzherrin der Hirten. Covão do Boi - Serra da Estrela.
Kuh unterhalb des Monumentes - Covão do Boi - Serra da Estrela.
“Gestielte Granitblöcke”” - Covão do Boi - Serra da Estrela
Hier noch ein nützlicher Link zu einer Abfrage in der Datenbank Flora-On, der das oben gezeigte Artenspektrum des Naturparks Serra da Estrela auf bereits mehr als 730 registrierte Taxa (Spezies incl. Subspezies) vervollständigt:
(Fussnoten und Bibliographie: Da sich Fussnoten einschl. Bibliographie nicht ohne weiteres aus Google-Docs heraus nach Blogger übertragen lassen, können diese im veröffentlichten Originalartikel eingesehen werden -> https://docs.google.com/document/d/1xCEVKpSBtYLgwhZQyIL2dd98TayQ2nzVadqnJ9nkQls/pub
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